Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe
Oberpfälzer Zoiglkultur
Die seit dem 15. Jahrhundert lebendige Oberpfälzer Zoiglkultur umfasst das gemeinschaftliche Brauen und den von verschiedenen Ritualen und Kommunikationsformen begleiteten örtlichen Ausschank von Zoiglbier. Die Zoiglkultur wirkt in hohem Maße identitätsstiftend für die lokale Bevölkerung und erlebt seit den 1970er Jahren eine Renaissance. Sie schafft einen Raum der Begegnung, des Austauschs und der Integration von Zugezogenen.
Zoiglbier ist Bier, das ortsansässige Bürgerinnen und Bürger in gemeinschaftlich betriebenen Brauhäusern brauen, um es auf dem eigenen Anwesen zu bestimmten Zeiten im Jahr auszuschenken. Dazu bieten die temporären Laienwirte günstige Brotzeiten an. Für die schrumpfenden ländlichen Gemeinschaften in der Oberpfalz bieten die Zoiglstuben wichtige Treffpunkte und Kommunikationsräume.
Bei der Oberpfälzer Zoiglkultur handelt es sich um die letzten lebendigen Überreste des seit dem hohen Mittelalter in weiten Teilen Süddeutschlands verbreiteten Kommunbrauwesens. Heute halten Bürger die traditionelle Zoiglkultur nur noch in fünf Orten der Oberpfalz lebendig: in Neuhaus (seit 1415), in Windischeschenbach (seit 1455), in Falkenberg (seit 1467), in Eslarn (seit 1522) und in Mitterteich (seit 1516). Selbstgebrautes Bier bildete für die ländliche Bevölkerung bis in das 20. Jahrhundert ein wichtiges Nahrungsmittel sowie eine Möglichkeit, Getreide im rauen, feuchten Klima zu konservieren.
In den Zoiglstuben entwickelte sich eine vielfältige Kommunikations- und Unterhaltungskultur. Diese umfasst Bräuche und Lieder ebenso wie Geschäftsabschlüsse und kommunalpolitische Diskussionen. Das Zoiglbier selbst wird in historischen Kommunbrauhäusern gebraut. Die Brauberechtigten finanzieren und betreiben die Kommunbrauhäuser gemeinschaftlich. Zu vereinbarten Zeiten bringen die Zoiglbrauer ihr Brauzeug (Gerste und Hopfen) ins Brauhaus, wo sie es einbrauen und vergären. Einsatz finden dabei nur die vor Ort vorhandenen, meist vorindustriellen Braugerätschaften, etwa offene Sudpfannen, offene Gärschiffe und Holzbefeuerung. Das Ergebnis ist ein untergäriges Bier, das sich aufgrund des handwerklichen Brauprozesses und tradierter Rezepte durch eine hohe Geschmacksvarianz auszeichnet.
Das Wissen über das Brauhandwerk wird vor Ort vor allem mündlich weitergegeben. Einzelne, oft ehrenamtlich tätige, ausgebildete Brauer fungieren als Ansprechpartner zur Qualitätssicherung und in Fragen des technischen Betriebes. Auch der rege Austausch unter den Laienbrauern trägt zu einer ständigen Weiterentwicklung des Zoiglbiers bei.
Nach vollendeter Gärung wird das Bier in den Zoiglstuben in den Wohnhäusern der Brauer ausgeschenkt. In welchem Haus gerade ausgeschenkt wird zeigt der „Zoiglstern“. Sobald die gebraute Menge Bier verzehrt ist, wird der „Zoiglstern“ und damit der Ausschank zum nächsten Zoiglbrauer weitergegeben. Ein gemeinsamer Zoiglkalender bietet vorab einen Überblick über Ausschanktermine und -orte. Durch die Entwicklung einer eigenen Smartphone-App können diese Informationen heute auch über das Internet abgerufen werden.
In den letzten 30 Jahren erfuhr der Zoigl als lokale Kulturform eine Neubewertung hin zur regionalen und nachhaltigen Spezialität. Der Wandel zeigt sich auch in den Akteuren der Tradition: Handelte es sich bei den Zoiglgästen historisch um die einheimische Bevölkerung, genießt die Zoiglkultur heute zunehmende Beliebtheit bei auswärtigen Gästen.