Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe
Ostfriesische Teekultur
Seit rund 300 Jahren ist Ostfriesland eine Teetrinkerregion. Bis heute ist die Teekultur eine ganz Ostfriesland einende Kulturpraxis. Dabei hat sich eine eigenständige Teekultur entwickelt, die sich zum Beispiel in der ostfriesischen Teezeremonie ausdrückt - eine ritualisierte Art des Teetrinkens.
Der mit losen Teeblättern zubereitete Tee wird auf ein in der Tasse liegendes Stück weißen Kandiszucker, genannt „Kluntje“, gegossen. Anschließend wird ein wenig Sahne am Rande der Tasse auf den Teespiegel abgelegt, die zunächst nach unten absinkt und dann wieder nach oben steigt. Hierbei entsteht ein wolkenähnliches Gebilde, „Wulkje“ genannt. In der Regel wird der Tee nicht umgerührt, sodass mit jedem Schluck ein anderer Geschmack entsteht: zunächst die milde Sahne, dann der kräftige Tee und zuletzt die Süße des Kandis.
Regelmäßige und von vielen Einheimischen leidenschaftlich eingehaltene Teezeiten und gemeinsames Teetrinken prägen den Tagesablauf und familiäres wie berufliches Miteinander in Ostfriesland. Die Teekultur wird insbesondere innerhalb von Familien vermittelt, was sich etwa darin zeigt, dass die Vorliebe für eine bestimmte Teemischung oft von Generation zu Generation weitergegeben wird.
„Die Ostfriesische Teekultur ist eine gelebte Tradition, die weiterentwickelt wird.“
Dr. Gabriele Heinen-Kljajic, Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur a.D.
Die Teekultur hat sich sowohl in Sprache als auch materieller Kultur niedergeschlagen. So gibt es zahlreiche Redewendungen und Ausdrücke im Plattdeutschen rund um den Tee. Getrunken wird er aus typisch ostfriesischem Teegeschirr mit Rosendekor, der sogenannten „ostfriesischen Rose“. Auch der Tee selbst ist eine ostfriesische Besonderheit: die „Echt ostfriesische Mischung“. Hierbei handelt es sich um eine kräftige Schwarzteemischung insbesondere aus Assam-Tees, die sich nur dann „echt“ nennen darf, wenn sie in Ostfriesland gemischt wurde. Durch die lange Tradition des Teetrinkens und den hohen Verbrauch bestehen bis heute mehrere Teefirmen in der Region.
Gründe für diese besonderen Entwicklungen im Kaffeetrinkerland Deutschland sind mannigfach. Eine wichtige Rolle spielte die Nähe zu den Niederlanden, deren Ostasiatische Kompanie Anfang des 17. Jahrhunderts erstmals Tee importierte.
Nachhaltig durchsetzen konnte sich das neue Heißgetränk u.a. aufgrund medizinisch vorteilhafter Zuschreibungen und seines propagierten Werts als die Sinne nicht berauschender Bierersatz. Als schließlich der Teekonsum als Alleinstellungsmerkmal der Region offenbar war, wurde er als identitätsstiftende Kulturpraxis von der Heimatbewegung aufgegriffen.