Auf ein Wort,
Welterbestätten: Leuchttürme nachhaltiger Entwicklung
Anja Domnick
Gemeinsames Wattenmeersekretariat
Welterbe schützen und zugleich Regionalentwicklung fördern – wie kann das gelingen? Eindrücke und Erfahrungen aus dem Welterbe Wattenmeer
Die Welterbestätten setzen sich für die Globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 ein. Doch was bedeutet es für Welterbestätten, nachhaltige Entwicklung zu fördern? Welche Umsetzungsmöglichkeiten gibt es? Welchen Herausforderungen gilt es zu begegnen?
Vertreter der Welterbestätte Wattenmeer beschäftigen sich seit langem mit der Bewahrung dieser einzigartigen Naturstätte, die zugleich Lebens- und Wirtschaftsraum ist. Anja Domnick ist Projektverantwortliche für das Interreg Nordseeprogramm-Projekt „PROWAD LINK - PROTECT & PROSPER: Benefits through linking sustainable growth with nature protection“ und berichtet von ihren Erfahrungen.
Frau Domnick, was verstehen Sie unter nachhaltiger Entwicklung?
Ökologische, ökonomische und soziale Aspekte sollen langfristig in Einklang gebracht werden. Das heißt, Nachhaltigkeit betrifft alle Bereiche unseres Lebens und verlangt nach einer Entwicklung, die ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig ist. Für das Wattenmeer bedeutet das aus meiner Sicht die ganzheitliche Betrachtung als ökologisch wertvoller Landschaftsraum, als Wirtschaftsraum und als Wohn- und Lebensraum der Bevölkerung.
Warum ist nachhaltige Entwicklung ein wichtiges Thema für Welterbestätten?
Mit der UNESCO-Anerkennung zum Welterbe wird der Arbeitsauftrag jeder Welterbestätte um wichtige und komplexe Aspekte erweitert: Schutz, Erhalt und Vermittlung sind Sinn und Zweck der Welterbekonvention und Aufgabe aller beteiligten Akteure. Um die Stätten heute verantwortungsvoll zu nutzen und sie für künftige Generationen in ihrer Ganzheit so authentisch wie möglich zu erhalten, sollte das Konzept der nachhaltigen Entwicklung die Grundlage für die Arbeit in den Welterbestätten sein. Alle Entscheidungen besonders in einer Welterbestätte sollten bewusst und unter Berücksichtigung globaler Gerechtigkeit und der Konsequenzen für die globale Zukunft und für zukünftige Generationen getroffen werden. Damit können gerade Welterbestätte „Leuchttürme“ gegenseitiger Wertschätzung, des Verständnisses und der aktiven Einbeziehung aller Akteure sein.
Wie kann das Welterbe Wattenmeer einen Beitrag zum Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele leisten?
Die trilaterale Wattenmeerzusammenarbeit arbeitet daran, das Verständnis und die engere Zusammenarbeit zwischen Naturschutz und Unternehmen zu stärken. Unser Konzept der nachhaltigen Nutzung und Entwicklung basiert auf der Definition im Übereinkommen über die biologische Vielfalt und ist dementsprechend im Wattenmeerplan wiedergegeben. Konkret beschäftigen wir uns vor allem mit zwei wichtigen Fragen: Wie kann der Schutz unseres Wattenmeeres dem Anspruch eines Weltnaturerbes auch dauerhaft gerecht werden? Und wie kann die Region die Chancen aus der Anerkennung als Welterbe wahrnehmen, ohne dabei dessen Grundlage, die Natur, zu gefährden?
In der Strategie für das Weltnaturerbe Wattenmeer 2014-20 wurden konkret drei Ziele, formuliert, die, wenn umgesetzt, einen Beitrag zum Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele leisten:
1. Für heutige und künftige Generationen den außergewöhnlichen universellen Wert des Wattenmeeres einschließlich seiner Unversehrtheit zu wahren, was die Menschen gleichzeitig anregt, sich an ihm zu erfreuen und seinen Wert zu schätzen, es zu feiern und etwas darüber zu lernen.
2. Die Marke „Weltnaturerbe Wattenmeer“ zu einem Instrument für die nachhaltige Entwicklung der Region auszubauen, was Einwohnern und Besuchern zu Gute kommt.
3. Zum Welterbe-Übereinkommen und dessen strategischen Zielen, als Vorbild für die internationale Zusammenarbeit bei einer grenzübergreifenden Stätte, beizutragen.
Wie vermitteln Sie nachhaltige Entwicklung Ihren Besuchern? Können Sie konkrete Projekte nennen?
Mit der Strategie für Bildung und Besucherinformation im Weltnaturerbe Wattenmeer wurde ein grenzübergreifender Rahmen für die Umweltbildung und Besucherinformation im gesamten Wattenmeergebiet definiert. Sie basiert auf einem über Jahrzehnte gewachsenen Netzwerk von Menschen und Aktivitäten.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist ein wichtiger Bestandteil in den Wattenmeer-Besucherzentren: In Anpassung an Alter und Zusammensetzung der Veranstaltungsteilnehmenden wird anhand von konkreten Beispielen diskutiert, wie man dazu beitragen kann, dass das Leben auf der Erde für Menschen, Tiere und Pflanzen lebenswert bleibt. Häufig erhalten die Teilnehmenden vorab einen wertgeschätzten, emotionalen Zugang zur Natur, zum Beispiel durch eine Wattführung.
Außerdem haben wir mit der IWSS, der International Wadden Sea School, eine internationale Plattform für Umweltbildung und BNE im Wattenmeer. Kostenfrei werden zum Beispiel Materialien angeboten, die Kindern die Natur im Wattenmeer unmittelbar und mit allen Sinnen erlebbar machen – im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung.
In Niedersachsen ist BNE ein fester Bestandteil bei der Ausbildung und Qualifizierung von Nationalpark-Watt- und Gästeführern und -führerinnen. Damit können diese ihre Angebote so gestalten, dass sie bei ihren Gästen das Bewusstsein für den Lebensraum Wattenmeer steigern und die Bedeutung der Vernetzung von Natur, sozialen Aspekten und Kultur vermitteln.
Welche Rolle spielt Tourismus bei der Umsetzung nachhaltiger Entwicklung am Wattenmeer?
Das Wattenmeer spielt eine bedeutende Rolle als Tourismusziel und damit für die regionale Ökonomie. Viele Regionen sind vollständig auf den Tourismus angewiesen.
Jedes Jahr werden in der Wattenmeerregion Dänemark, Deutschland und Niederlande ungefähr 50 Millionen Übernachtungen registriert, mit einem geschätzten jährlichen Umsatz von 5 Milliarden Euro. Die jährlichen Besucherzahlen liegen damit deutlich über denen anderer Welterbestätten wie zum Beispiel dem Yellowstone-Nationalpark mit 3,6 Millionen und dem Great Barrier Reef mit 2 Millionen. Der Tourismus hat dadurch eine erhebliche Wirkung auf die Regionalentwicklung, für Gesellschaft und Umwelt.
Mit einer gemeinsamen Strategie für einen nachhaltigen Tourismus im dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer wurden und sind alle Akteure aus Naturschutz, Tourismus, Gemeinden und den Regionen eingeladen, die einmalige Chance zu nutzen, die sich aus der Anerkennung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe ergibt. Die Strategie beschreibt, wie die Akteure zusammenarbeiten können, wie sie vom Welterbestatus profitieren und wie gleichzeitig die natürlichen Werte des Wattenmeers geschützt und erhalten werden können.
Wo sehen Sie Herausforderungen in der Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung an Ihrer Welterbestätte? Was würden Sie sich wünschen?
Eine besondere Herausforderung in unserer Region ist das Einbeziehen von kleineren und mittleren Unternehmen in den Naturschutz, um eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in der Region zu unterstützen. Potenziale wie die Auszeichnung als Welterbe zu nutzen und zu entfalten, als Motor für Beschäftigung und nachhaltige Regionalentwicklung, erfordert neue Herangehensweisen und Strategien. Ein „Hand in Hand“ erhoffe ich mir vom im Juni letzten Jahres bewilligten Interreg Nordseeprogramm-Projekt PROWAD LINK - PROTECT & PROSPER: Benefits through linking sustainable growth with nature protection. Gemeinsam mit einem Konsortium aus 14 Partnern aus England, Norwegen, Dänemark, den Niederlanden und Deutschland wollen wir erreichen, dass Welterbe-Stätten als Marke verstanden werden und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den küstennahen, ländlichen Gebieten erreichen. Kleine und mittlere Unternehmen tragen in dem Projekt dazu bei, das Naturerbe zu erhalten und erreichen gleichzeitig, dass ihre wirtschaftlichen Wachstumsziele erreicht werden – durch Entwicklung marktfähiger Angebote, Zugang zu Marken, wirtschaftlichen Mehrwert und mehr Nachhaltigkeit.
Eine weitere Herausforderung ist die langfristige Etablierung und organisatorische Weiterentwicklung der Netzwerkeinrichtung im Trilateralen Weltnaturerbe Wattenmeer Partnerschaftszentrum zur zukünftigen Pflege der aus dem oben genannten Projekt entstehenden internationalen und regionalen Netzwerke zum Wohle des Weltnaturerbes Wattenmeer.
Workshop „Welterbestätten im Kontext der Agenda 2030“ mit Welterbestättenmanagern aus Deutschland
Zusammen mit dem Gemeinsamen Wattenmeersekretariat hat die Deutsche UNESCO-Kommission am 4. und 5. Dezember 2018 den Workshop „Welterbestätten im Kontext der Agenda 2030“ mit Welterbestättenmanagern aus Deutschland durchgeführt.
Die Deutsche UNESCO-Kommission unterstützt den Austausch und die Zusammenarbeit von Welterbestätten, um sie als Leuchttürme und Lernorte nachhaltiger Entwicklung zu positionieren.