Auf ein Wort,
„Lasst uns bessere Touristen sein!“ - Nachhaltiger Tourismus zum Schutz des Welterbes
Peter Debrine
Senior Project Officer, UNESCO-Welterbezentrum
2017 ist das Internationale Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung. Das Thema nachhaltiger Tourismus spielt für viele Welterbestätten schon seit Langem eine große Rolle, denn Tourismus kann Segen und Fluch zugleich für die Stätten, ihren Schutz und Erhalt, sowie für die lokale Bevölkerung sein.
Deshalb hat das Welterbekomitee 2012 das UNESCO World Heritage and Sustainable Tourism Programme ins Leben gerufen. Verantwortlich für die Umsetzung des Programms ist Peter Debrine, Projektmanager im UNESCO-Welterbezentrum. Im Interview erklärt er, warum nachhaltiger Tourismus gerade für Welterbestätten so wichtig ist, welche Herausforderungen sich stellen und wie diesen begegnet werden kann.
Wie würden Sie nachhaltigen Tourismus definieren, und warum ist er insbesondere für Welterbestätten bedeutsam?
Nachhaltiger Tourismus ist ein facettenreiches Konzept. Aus Sicht der UNESCO ist nachhaltiger Tourismus vor allem als Beitrag zu Schutz, Erhalt und Vermittlung des außergewöhnlichen universellen Wertes einer Welterbestätte zu verstehen. Für uns ist der Erhalt dieser Stätten der Ausgangspunkt, wobei Tourismus in diesem Zusammenhang das Potential hat, als Vehikel zu wirken. Wird er jedoch nicht nachhaltig gemanagt, tritt der gegenteilige Effekt ein. Darüber hinaus kann nachhaltiger Tourismus zur sozio-ökonomischen Entwicklung lokaler Gemeinschaften beitragen.
Was sind die größten Herausforderungen für nachhaltigen Tourismus an Welterbestätten?
Jede Welterbestätte ist anders, weshalb wir von der UNESCO keine Universallösung für alle Stätten vorschlagen können. Letztlich läuft es jedoch immer auf eine Frage des Managements hinaus. Eine der größten Herausforderungen ist das integrierte Zusammenspiel des Managements zum Schutz einer Stätte und des Tourismusmanagements. Zu oft arbeiten die Verantwortlichen dieser Bereiche noch nicht ausreichend zusammen. Hier gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf.
Das Besuchermanagement kann eine große Schwierigkeit darstellen, insbesondere in Welterbe-Städten, wie die Beispiele Venedig und Barcelona zeigen. Angesichts von Hyper-Tourismus beginnen die lokalen Bevölkerungen, sich zu wehren. Um diesem Phänomen des extremen Massentourismus entgegen treten zu können, müssen die Welterbe-Verantwortlichen das Phänomen verstehen: Warum und wie erfolgt diese Art des Massentourismus? Woher kommen die Besucher? Nur basierend auf diesem Wissen können adäquate Strategien und entsprechende Managementpläne erarbeitet werden.
Gibt es positive Beispiele zum Umgang mit diesen Herausforderungen?
Viele Welterbestätten testen aktiv unterschiedliche Herangehensweisen und Lösungen. Das Wattenmeer hat zum Beispiel eine grenzüberschreitende Strategie für nachhaltigen Tourismus entwickelt. In Venedig wurden vor kurzem bestimmte Imbissstände verboten, die nicht regionale Küche anbieten. Das zeigt, dass vor Ort erkannt wird, welch negative Auswirkungen Massentourismus auf das lokale kulturelle Erbe und dessen Erfahrung durch die Besucher haben kann. Stattdessen soll nun ein qualitativ hochwertigeres, auf lokalen beziehungsweise regionalen Produkten basierendes Tourismusangebot geschaffen werden. Dies ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Von Seiten der UNESCO setzen wir uns für das Prinzip ein, dass die angebotenen touristischen Produkte in sich das kulturelle Erbe der jeweiligen Destination reflektieren.
Aktuell stehen des weiteren Besucherzentren als Werkzeuge für das Besuchermanagement im Fokus. Sie können helfen, Engpässe und Staus an sensiblen Bereichen einer Welterbestätte zu vermeiden. Um erfolgreich zu sein, müssen Besucher- oder Informationszentren ein einmaliges Erlebnis bieten, sozusagen eine Mischung aus klassischem Museum und Infotainment. Eine klare Vision von Seiten des Managements zu den Zielen des Besucherzentrums ist hier unerlässlich. Darüber hinaus sollte nicht unterschätzt werden, dass Besucher die meiste Zeit an einer Welterbestätte mit Aktivitäten wie essen und einkaufen verbringen.
Ein interessantes Beispiel für Besucherzentren ist an der Welterbestätte Höhlen von Mogao in China zu finden. Um gleichzeitig steigenden Besucherzahlen gerecht zu werden und diese extrem fragile Kulturstätte zu schützen, wurde ein Besucherzentrum mit Multimedia-Angebot eingerichtet. Dort findet ein Großteil der Informations- und Vermittlungsarbeit statt. Hierdurch verkürzt sich die Aufenthaltszeit in den Höhlen im Zuge geführter Besichtigungen. Dies ermöglicht mehr Besuchern eine qualitativ hochwertige Erfahrung und trägt zugleich zum Schutz und Erhalt der Stätte bei.
In Deutschland plant beispielsweise Bamberg gerade ein neues Besucherzentrum. Auch für die britische Welterbestätte Inselgruppe St. Kilda wird ein Informationszentrum entstehen, welches Interessierten die Erfahrung der ansonsten kaum zugänglichen Stätte ermöglicht. Hier zeigt sich, dass virtuelle Realität und neue Medien das Potential besitzen, die Werte einer Welterbestätte zu vermitteln. In vielen Fällen helfen diese Instrumente außerdem den Druck durch zu viele Besucher von der Stätte oder besonders gefährdeten Stellen der Stätte zu nehmen.
Was sind die Ziele und Aktivitäten des UNESCO World Heritage and Sustainable Tourism Programme? Worum geht es bei dem im Rahmen des Programms entwickelten Toolkits für nachhaltigen Tourismus und wie kann dieses eingesetzt werden?
Die Grundidee des UNESCO World Heritage and Sustainable Tourism Programme ist es, Werkzeuge und Strategien zu entwickeln, die von allen Welterbestätten in angepasster Form angewendet werden können. Das Toolkit soll Welterbestätten als Hilfestellung bei der Entwicklung von Strategien zu nachhaltigem Tourismus dienen. Nur mit einer solchen Strategie können die Vorteile und Potentiale des Tourismus für den Erhalt der Stätte und die lokale Entwicklung genutzt werden.
Mit dem Toolkit richten wir uns an Verantwortliche von Welterbestätten und bieten eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Erstellung einer Strategie für nachhaltigen Tourismus. Es basiert auf vier Grundsätzen: Verständnis und Wissen, Leitungs- und Koordinationsmechanismen (governance), die Verknüpfung dieser beiden Aspekte sowie die Einbeziehung aller relevanten Akteure. Wissen um die Tourismussituation ist der Ausgangspunkt für jegliche Strategie. Hierzu müssen bereits existierende Formen von Tourismus vor Ort, Besucherzahlen, Herkunft und Erwartungen der Besucher sowie die vorhandene und benötigte touristische Infrastruktur untersucht werden.
Für langfristige Nachhaltigkeit sind adäquate Governance- und Managementstrukturen unerlässlich. Dies beinhaltet Strukturen zur Zusammenarbeit mit Tourismusakteuren sowie die Erstellung eines Tourismusmanagementplans. Es setzt auch eine Abstimmung mit bereits bestehenden, über die Stätte hinaus gehenden Tourismusmanagementplänen und Vermarktungsstrategien voraus. Der Managementplan sollte schließlich dem zuvor gesammelten Wissen entsprechen und in Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren umgesetzt werden.
Zu den relevanten Akteuren gehören auch und vor allem lokale Anwohner. Warum ist ihr Einbezug beim Thema nachhaltiger Tourismus so wichtig, und wie kann dies besonders gut gelingen?
Das Konzept der Einbeziehung lokaler Gemeinschaften ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir über nachhaltigen Tourismus reden. Sie sollten vom Tourismus an Welterbestätten profitieren, ansonsten besteht unter anderem die Gefahr, dass sie sich ausgeschlossen fühlen. Gleichzeitig birgt Tourismus das Potential in sich, die Wertschätzung für das eigene Erbe in der lokalen Bevölkerung zu erhöhen und ein Gefühl der Verantwortung für dieses Erbe zu kreieren. Dabei gilt: Wenn wir selbst von unserem kulturellen Erbe profitieren, ist der Anreiz stärker, dieses auch zu schützen.
Lokale Gemeinschaften sind keine homogenen Gruppen, weshalb wir das Konzept verfeinern müssen. Viele Anwohner sind zugleich Akteure im Tourismus und profitieren direkt von den Besuchern. Andere spüren eher die negativen Auswirkungen der Tourismusströme. Deshalb sind Kommunikation und Transparenz zentral: Der lokalen Bevölkerung muss verdeutlicht werden, wie die Gemeinschaft als Ganze vom Tourismus profitiert und wie Einnahmen aus diesem Bereich in verbesserte kommunale Dienstleistungen reinvestiert werden.
Welche Rolle spielt das Internationale Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung 2017 für Ihre Aktivitäten?
Dieses Jahr bietet uns die Möglichkeit, uns auf die Rolle zu fokussieren, die Tourismus beim Schutz und der Wahrung unseres Erbes spielen kann. Durch die gesteigerte Aufmerksamkeit zum Thema nachhaltiger Tourismus erhalten wir die Chance, noch stärker für unsere Ziele und Ideen zu werben. So wird das UNESCO-Welterbezentrum gemeinsam mit der Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) zum Abschluss des Internationalen Jahres eine Konferenz zu den Verbindungen zwischen Tourismus, Kultur und Erbe für nachhaltige Entwicklung in Oman veranstalten.
Aktuell arbeiten Sie an einem Projekt mit dem Titel World Heritage Journeys in the European Union, finanziert durch die Europäische Kommission. Worum geht es bei dem Projekt, und wie kann es zu nachhaltigem Tourismus an Welterbestätten beitragen?
Die Idee zu diesem Projekt stammt ursprünglich aus dem Europäischen Parlament. Im Kulturkomitee hatte man festgestellt, dass das UNESCO-Label noch stärker als Hebel für nachhaltigen Tourismus eingesetzt werden könnte. Es geht also letztlich um die Idee versteckter Perlen: Wie können sich Welterbestätten noch stärker als Tourismusdestinationen positionieren, und dies basierend auf den Werten ihres kulturellen und natürlichen Erbes? Für uns vom UNESCO-Welterbezentrum bietet das Projekt die spannende Möglichkeit, Stätten in der Kommunikation ihres Welterbestatus‘ zu bestärken. Über das Mittel des Geschichtenerzählens können wir gemeinsam den außergewöhnlichen universellen Wert der Stätten besser vermitteln.
Ausgehend von einem thematischen Ansatz werden wir im Rahmen des Projektes verschiedene Narrative entwickeln. Unter dem Thema Royal Europe geht es zum Beispiel um königliche Gärten und ihre Bedeutung heute und in ihrer Erschaffungszeit. Mit verschiedenen Industrieerbestätten, darunter die Zeche Zollverein, gehen wir zum Thema Underground Europe der Frage nach dem Leben der Menschen nach, die diese Stätten unter der Erde geschaffen und in ihnen gearbeitet haben. Für uns wäre es ein Erfolg, wenn Besucher durch die Narrative diese Stätten besser verstehen könnten.
Mit Bezug auf nachhaltigen Tourismus geht es dabei jedoch nicht nur um die Entwicklung von Narrativen zum außergewöhnlichen universellen Wert der Stätten. Über eine neue Reisewebseite, erstellt in Zusammenarbeit mit National Geographic, wird lokalen Dienstleistern/Anbietern der Anreiz gegeben werden, als Partner zum Schutz und der Vermittlung der Welterbestätten vor Ort beizutragen. Besucher können sich über die Webseite bereits im Vorfeld ihrer Reisen zu den Welterbestätten und zu nachhaltigem Tourismus vor Ort informieren.
Für uns ist dabei besonders wichtig, dass die Verantwortlichen für Welterbestätten nicht nur in den Grenzen ihrer eigenen Stätte denken, sondern sich als Teil einer Tourismusdestination begreifen. Zu dieser können weitere Erbestätten, darunter eventuell weiteres Welterbe, kulturelle Angebote und andere interessante Punkte gehören. Ziel sollte ein Tourismusangebot sein, das Besucher zu einem längeren Aufenthalt bewegt.
Haben Sie zum Abschluss eine Botschaft an alle Reisenden?
Als Reisende sind wir ein essentieller Teil der Gleichung des nachhaltigen Tourismus. Wir sind diejenigen, die die touristischen Angebote konsumieren, wir treffen die Entscheidung, welche dieser Angebote wir auswählen und nutzen. Tourismus ist sehr nachfrageorientiert. Deshalb: Lasst uns nachhaltigere Entscheidungen treffen!
Wir müssen verstehen, dass Welterbestätten Schutz und Ressourcen brauchen. Wir sollten Möglichkeiten finden, etwas zurück zu geben. Dazu gehört auch, unsere eigenen Horizonte zu erweitern, auf respektvolle Weise mit der lokalen Bevölkerung und ihrem Erbe zu interagieren, und uns Zeit zu nehmen statt nur Listen abzuhaken. Lasst uns bessere Touristen sein!