Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe
Rheinischer Karneval mit all seinen lokalen Varianten
Für die Menschen im Rheinland geht der Karneval mit einem ganz besonderen Lebensgefühl einher. Er vermittelt Gefühle von Freude und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und besitzt darüber hinaus eine starke integrative Kraft.
Fakten
- Aufnahmejahr: 2014
- Verbreitung: Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf und darüber hinaus
- Zentraler Termin: zwischen November und Februar
- Bereich: Gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste
Besonders in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche erweist sich seine integrierende Kraft: Nach Notzeiten setzte das Fest Impulse zum Wiederaufbau und Flüchtlinge vermochten durch aktive Mitgestaltung Wurzeln in der neuen Heimat zu schlagen. Die Willkommenskultur des Karnevals wirkt sehr einladend. Migrantinnen und Migranten finden in ihm einen einfachen Zugang zur regionalen Gemeinschaft. Gemeinsam „jeck“ zu sein, sich verkleiden, in andere Rollen zu schlüpfen und ausgelassen zu feiern, gehört ebenso zum Karnevalsfest wie das ehrenamtliche und soziale Engagement.
Der bis Anfang des 13. Jahrhunderts zurückreichende Festkomplex des Rheinischen Karnevals definiert sich als Schwellenfest unmittelbar vor der vorösterlichen Fastenzeit im christlichen Jahreslauf. Das gemeinschaftliche Verzehren von vor allem verderblichen Lebensmitteln vor der Fastenzeit ist die ideelle und inhaltliche Grundlage für den Karneval wie er in vielen Teilen Deutschlands unter Begriffen wie „Fasnet“, „Fastnacht“ oder „Fasching“ gefeiert wird. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurde die Fastnacht als sündhaftes, endliches Leben interpretiert. Vor diesem Hintergrund trat die Figur des gottesfernen Narren mit der Fastnacht in Verbindung – mit Narrenmasken und Kostümen wurde fortan symbolisch die gesellschaftliche Ordnung in Frage bzw. auf den Kopf gestellt.
"Beim Karneval gibt es keine Berührungsängste, man kommt in Kontakt mit anderen Leuten und jeder wird sofort integriert."
Thomas Mende, Kulturtalent und Mitglied bei Kaygass e.V.
Kulturtalente
Kulturtalente in ganz Deutschland prägen und gestalten das Immaterielle Kulturerbe. Sie erhalten kulturelle Traditionen durch Anwendung und Weitergabe ihres Wissens und Könnens. Die Deutsche UNESCO-Kommission stellte von Juli 2016 bis Juli 2017 zwölf Kulturtalente vor und zeigt, wie sie das Immaterielle Kulturerbe hierzulande kreativ weiterentwickeln. Thomas Mende ist das Kulturtalent des Monats Februar 2017.
Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ausgehend von Köln eine bürgerliche Form des Karnevals. Um die vielfältigen Festformen zu reorganisieren und zentralisieren wurde 1823 ein Festordnendes Komitee eingerichtet. Am Fastnachtsmontag wurde ein Maskenzug als Höhepunkt des Festes durchgeführt, der jahrtausendealte Herrschereinzüge nachahmte und persiflierte. Dazu traten der Held, später Prinz, „Karneval“ als Personifikation des karnevalistischen Frohsinns sowie Karnevalsgesellschaften, Karnevalssitzungen und Maskenbälle als weitere konstitutive Elemente hinzu. Die Lieder und Büttenreden auf diesen Veranstaltungen sind geprägt vom Dialekt und von einem hohen Maß identitätsstiftender Inhalte. Die karnevalistischen Ausrufe „Alaaf“ oder „Helau“, die Narrenzahl Elf, die Narrenkappe und Orden gehören ebenso zu den konstituierenden Elementen. Andere Städte und Regionen übernahmen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts die Festgestaltung und gaben ihr mit Abänderungen des Ausrufes, der Figuren etc. ein spezifisches lokales oder regionales Gepräge.
Mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts wurde die Karnevalszeit deutlich ausgedehnt. Beginn ist nun der 11. November mit der Vorstellung des Prinzen, Prinzenpaares oder Dreigestirns. Der Tag der Heiligen Drei Könige entwickelte sich zum Auftakt des Sitzungskarneval, die Weiberfastnacht zum Auftakt des Straßenkarnevals und der Rosenmontag löste den Karnevalsdienstag als zentraler Festtag ab. Im Kontext der Märzrevolution 1848/49 und der einhergehenden Politisierung der Gesellschaft wurde der organisierte Karneval für alle sozialen Schichten geöffnet. Die Thematisierung von politischen Entwicklungen in den Büttenreden, in Liedern und in Motivwagen wurde fester Bestandteil des Festes. Seit dieser Zeit haben sich weitere Rituale und Spielweisen im Rheinischen Karneval entwickelt. Er ist heute gleichermaßen Ort der Begegnung, Wirtschaftsfaktor und Aushängeschild für die Region in der ganzen Welt.
Der „Rheinischer Karneval mit all seinen lokalen Varianten“ weist starke Verbundenheit mit zwei Welterbe-Stätten auf: Die Karnevalsorden in Aachen und in Köln erhalten den Segen für eine friedliche Session im Aachener Dom beziehungsweise im Kölner Dom.