Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe
Finkenmanöver im Harz
Mit dem Finkenwettstreit in acht Orten des Harzes haben sich Teile eines traditionellen Frühlingskomplexes erhalten, das ursprünglich über Mitteleuropa weit verbreitet war. Die Finkenwettbewerbe enthalten zwei Wettkampfdisziplinen: die Schönheitsklasse und die Kampfklasse. Die Kampfklasse besteht aus der Starkklasse und dem Distanzsingen.
Beschreibungen einzelner Aspekte der Tradition gehen bis in das 15. Jahrhundert zurück. Fang und Haltung sowie Aufzucht und Pflege von Buchfinken, ihre Gesangsschulung und der Wettstreit um den am schönsten oder am häufigsten singenden Finken, sind aus vielen Landschaften überliefert. Der letzte Finkenwettstreit im deutschsprachigen Raum außerhalb des Harzes erlosch 2008. In Nordfrankreich, Holland und Belgien gibt es noch Wettkampfformen, die jenen im Harz ähnlich sind. Kulturträger des Finkenbrauchs sind die Finkenbesitzer (Finker). Es handelt sich um etwa 50 Personen, die in einzelnen Harzorten jeweils in Vereinen zusammengeschlossen sind.
Die Gesangssaison liegt im Frühjahr von April bis Juni. Die Schulung der Finken für das Distanzsingen und die Starkklasse, bei der es um möglichst langanhaltendes Singen geht, wird über mehrere Wochen auf Freiflächen und in Waldrevieren durchgeführt. Da die Vögel beim Starksingen stärker als beim Distanzsingen gefordert werden, dürfen an dieser Wettkampfform nur Buchfinken teilnehmen, die mindesten drei Jahre alt sind und beim Distanzsingen im Vorjahr ein gutes Ergebnis erzielt haben. Die Schulung für das Schönheitssingen ist schwierig und zeitaufwendig: Ziel ist es, einem Jungfinken durch Lehrfinken oder Tonträger bestimmte Schönheitsgesänge beizubringen. Ein Buchfink kann in seiner Jugend mehrere, in der Regel zwei bis drei, Gesänge erlernen, die er sein Leben lang behält.
"Die Schönheitsgesänge faszinieren mich am meisten, diese Gesänge der Finken sind so schön wie klassische Musik, mit ihr durchaus vergleichbar."
Dieter Spormann, Buchfinkengilde in Benneckenstein
Der Gesang des einzelnen Finken, der Finkenschlag, wird im Schönheitswettbewerb im Hinblick auf die Vollständigkeit seiner Gesangsteile (Eingangssilben, Übergang, Mittelteil, Ausklang), die Sauberkeit des Vortrags und die richtige Tonlage der Gesangsteile über einen Zeitraum von fünf Minuten bewertet. Sieger wird der Buchfink, der die höchste Gesamtpunktzahl für die vorgetragenen Gesänge erreicht.
Innerhalb der Starkklasse (Kreissingen) werden die Finken am frühen Morgen in einem abgesteckten Kreis im Abstand von mindestens einem Meter auf den Erdboden gestellt. Nach etwa fünf Minuten werden die noch schlagenden Finken in den nächst engeren Kreis gesetzt. Finken, die nicht mehr singen, scheiden aus. In fünf Kreisen rücken die Finken immer dichter aneinander. Im sechsten und letzten Kreis betragen die Abstände zwischen den Käfigen nur noch wenige Zentimeter. Auf ein Kommando wird jeder volle Gesang des Finken auf einer vorgefertigten Karte durch einen Strich vermerkt. Sieger dieses Wettbewerbes ist der Fink, welcher die meisten Schläge in den fünf Minuten des letzten Kreises gesungen hat. Beim Distanzsingen werden die verhüllten Käfige auf einer ca. 1,60 m hohen Bretterstellage in einer langen Reihe aufgestellt. Der Abstand zwischen den Käfigen beträgt ein Meter. Auf ein Kommando werden alle ausgesungenen Finkenschläge notiert. Gewinner des dreißigminütigen Wettkampfs ist der Buchfink mit den meisten Gesängen. Ein gesanglich starker und gut trainierter Fink kann in dieser halben Stunde 300 Finkenschläge und mehr singen.
Durch den engen Kontakt mit dem Vogel verfügen die Finker über ein spezielles Wissen, das zum Teil selbst Ornithologen nicht bekannt ist. Das Wissen und die Geheimnisse rund um den Finkenbrauch werden in vielen Harzdörfern nachweislich in einzelnen Familien seit mindestens fünf Generationen, sogenannte Finkerdynastien, weitergegeben. Der Finkenwettstreit ist u.a. durch Volkslieder im Bewusstsein der Harzer Bevölkerung verankert.