Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe
Altersgenossenfeste in Schwäbisch Gmünd
Seit 1863 treffen sich in Schwäbisch Gmünd „Altersgenossen“ – also die im gleichen Jahr Geborenen – zu gesellschaftlichen Aktivitäten und zum Altersgenossenfest der Stadt. Die Aktivitäten bieten die Möglichkeit des Kennenlernens und der Integration - für Neubürger und auch für Menschen, die aus anderen Ländern in die Stadt ziehen. Bürgerschaftliches und soziales Engagement wie auch die Verbundenheit mit der Stadt sind innerhalb der Altersgenossenvereine stark ausgeprägt.
Fakten
- Aufnahmejahr: 2018
- Verbreitung: Schwäbisch Gmünd
- Zentraler Termin: von Anfang Juni an jeden Samstag
- Bereich: Gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste; Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation, Darstellende Künste
Waren es zunächst die „50er“, also die 50-jährigen, die die Tradition begründeten, erweiterte sich diese im Laufe der Zeit auf weitere Jahrgänge. Den Auftakt bildeten bald die „40er“ des jeweiligen Jahres - schließlich werden Schwaben sprichwörtlich mit 40 „g‘scheit“.
Heute präsentieren sich Jahr für Jahr die 40-, 50-, 60-, 70- und die 80-Jährigen beim großen Jahresumzug im Sommer an aufeinander folgenden Samstagen. Zu diesem Anlass kleiden sich die Männer traditionell mit Frack und Zylinder, die Frauen in festlichen Roben, und ziehen durch die mittelalterlichen Straßen Schwäbisch Gmünds. Am Höhepunkt des Umzuges singen sie vor dem Johannisturm am Marktplatz gemeinsam das Lied „Grüß di Gott, Alois“ - ein über Generationen tradiertes Mundart-Lied. Der Abend der Feierlichkeit wird mit einem festlichen Akt begangen. Begleitet wird diese Tradition von der ganzen Familie - von jung bis alt und von allen Freunden und Arbeitskollegen. Organisiert sind die jeweiligen Altersgenossinnen und Altersgenossen in Vereinen. Darüber hinaus gibt es einen koordinierenden Dachverband.
Die Altersgenossenvereine sind zugleich kulturelle Orte des Kennenlernens und der Integration - für Neubürger, für Menschen, die aus anderen Ländern in die Stadt ziehen, für die Partnerstädte und natürlich für die Gmünderinnen und Gmünder im Ausland. Die Verbundenheit innerhalb eines Altersgenossenvereins, die regelmäßigen Treffen und die niedrigschwelligen Angebote der Teilnahme über alle religiösen, kulturellen, milieuspezifischen und beruflichen Unterschiede hinweg, haben eine starke integrative und soziale Kraft, die sich in der Stadt in einem deutlich ausgeprägten bürgerschaftlichen Engagement niederschlägt. Hierin sehen alle heutigen Mitwirkenden und Organisatoren die Bedeutung der Altersgenossenfeste in der Zukunft.
Die Tradition, die ihre Ursprünge im 19. Jahrhundert verzeichnet, wurde während des Ersten Weltkriegs unterbrochen. In den Nachkriegsjahren diente das Fest dazu, Solidarität füreinander zu zeigen. In der Zeit des Nationalsozialismus änderte sich der Charakter der Feste wieder, sie wurden für die NS-Parteipropaganda instrumentalisiert. Diese Vereinnahmung der Feste wurde nach 1945 durch die Praktizierenden kritisch reflektiert und die ursprüngliche Praxis der alten Tradition konnte wieder aufgenommen werden.
Jenseits der identitätsstiftenden Wirkung der Festkultur engagieren sich die Altersgenossenvereine in vielen Bereichen im Ehrenamt und tragen Herzlichkeit, Gastfreundschaft und Toleranz auch über die Grenzen der Stadt hinaus. Die Aktivitäten der Vereine sind fester Bestandteil des zivilgesellschaftlichen Engagements der gesamten Region. Die Tradition trägt auch dazu bei, den Austausch mit Partnerstädten in ganz Europa auszubauen.