Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe
Ehrsames Narrengericht zu Grosselfingen
Das Ehrsame Narrengericht zu Grosselfingen ist eine über Jahrhunderte gepflegte Fastnachtstradition, die in unregelmäßigen Abständen von drei bis sieben Jahren stattfindet. Nur wenn die Mitgliederversammlung der Bruderschaft des Ehrsamen Narrengerichts die Aufführung beschließt, ziehen die Hanswurste, Butzen, Pfeifer und Trommler durch den Ort, um die Aufführung des Narrengerichts für den Folgetag anzukündigen.
Am Aufführungstag beginnt das Fastnachtsspiel nach einem traditionellen Gottesdienst um die Mittagsstunde und dauert bis zum Einbruch der Dunkelheit. Das ganze Dorf wird zum venezianischen Reich erklärt und dabei zur Freilichtbühne. Im Gerichtslokal finden die Gerichtsitzungen der Herren von Venedig statt. Auf den Straßen und Gassen zieht ein farbenfroher Zug der Narren zum Pfarrer, um einen Heischebrauch zu erfüllen.
Jahrhunderte alte närrische Regeln geben dem Ablauf des Fastnachtsspiels einen Rahmen, innerhalb dessen die 39 verschiedenen Narrenfiguren – die sogenannten Chargen – ihre zugewiesenen Aufgaben erfüllen. Zum Teil werden bestimmte Rollen schon mehrere Generationen lang von einzelnen Familien besetzt. Außer den Mitspielern, die alle Mitglied der Bruderschaft des Ehrsamen Narrengerichts sind, spielen noch der Pfarrer, die Pfarrköchin sowie der Bürgermeister aktiv in festgelegten Rollen mit. Gassenrollen wie Hanswurste, Geiger, Wegräumer oder das Narrenrössle treiben ihre übermütigen Späße untereinander und mit den Zuschauern.
"Wenn die Venezianer wissen wollen, wie ihre Vorfahren Fasnacht gefeiert haben, müssen sie zu uns kommen."
Manfred Ostertag, Narrenvogt und Vorsteher der Bruderschaft des Ehrsamen Narrengerichts
Es werden Lieder gesungen, Tänze getanzt und Texte verlesen und reger Gebrauch von dem wichtigsten Recht des Narrengerichts, dem Rügerecht, gemacht. Es stellt das wichtigste Privileg des Narrengerichts dar und soll Verfehlungen auf närrische Weise an das Licht der Öffentlichkeit bringen. Dieses Privileg ist in der Zeit zwischen 1407 und 1522 im Freiheitsbrief des Narrengerichts festgehalten worden. Er half dem Narrengericht über die Jahrhunderte immer wieder, seine Tradition gegenüber wechselnden Obrigkeiten zu verteidigen und neu zu legitimieren.
Die Bruderschaft des Ehrsamen Narrengerichts, bestehend aus männlichen und weiblichen Mitgliedern, tritt auch außerhalb der Fastnachtszeit in Erscheinung. Im Rahmen einer Marienbruderschaft unterstützen sich die Bruderschaftsmitglieder überdies in Notsituationen untereinander und sorgen füreinander über den Tod hinaus.
Das Ehrsame Narrengericht zu Grosselfingen steht für ein kollektives örtliches Ritual mit einer außergewöhnlich aktiven lokalen Vereins- und Öffentlichkeitsarbeit, die über den engeren Fastnachtsbereich hinausweist und auch aktive Jugendarbeit einschließt. Der Brauch bezieht bis zu 300 Spieler aus der 2.000-Einwohner-Gemeinde ein und hat dadurch große kulturelle und soziale Gemeinschaftseffekte.