Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe

Verwendung und Weitergabe der Brailleschrift in Deutschland

Die Brailleschrift und ihre Anwendung bilden das Fundament für die Bildungschancen blinder Menschen und ihre berufliche und soziale Teilhabe. Diese lebendige Kulturform passt sich stetig an neue Entwicklungen und Technologien an. Die Weitergabe der Schrift erfolgt in Schulen, Rehabilitationseinrichtungen, Verbänden und Vereinen.

Illustration Immaterielles Kulturerbe

Fakten

  • Aufnahmejahr: 2020
  • Verbreitung: in ganz Deutschland
  • Zentraler Termin: ganzjährig
  • Bereich: mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksweisen; Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum; traditionelle Handwerkstechniken

Kontakt

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV)
Reiner Delgado
E-Mail
Homepage

Die Brailleschrift wurde 1825 von dem damals 16-jährigen blinden Franzosen Louis Braille erfunden. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat sie sich als Schrift für blinde Menschen durchgesetzt. Die Schriftzeichen bestehen aus Kombinationen von sechs tastbaren Punkten. Im 20. Jahrhundert wurden weltweit Codes der Brailleschrift für weitere Alphabete außer dem Lateinischen entwickelt und auch für nicht alphabetische Schriften wie Chinesisch. Die Brailleschrift ist damit heute weltweit einheitliche Schrift blinder Menschen.

Das System der Sechs-Punkte-Schrift erlaubt auch die Darstellung anderer Inhalte. So hat Louis Braille selbst ein System der Darstellung von Musiknoten entwickelt. Es gibt verschiedene Mathematikschriften, die Chemie- und die Schachschrift sowie einen Code für Strickmuster. Vor etwa 100 Jahren wurden in einigen Sprachen, wie Deutsch, Englisch und Französisch, auch Kurzschriften und Stenografieschriften entwickelt. Diese erlauben schnelleres Lesen und Schreiben und waren für die berufliche Integration blinder Menschen vor allem in Büroberufen sehr relevant.

Die deutsche Blindenkurzschrift ist 1904 speziell für die deutsche Sprache entwickelt worden. Häufige Buchstabengruppen und Wörter können durch einzelne Zeichen abgekürzt werden. 1972 wurde die Kurzschrift grundlegend reformiert und ist mit einem Kürzungspotential von 28% weltweit führend. Blinde Kinder erlernen die Kurzschrift in der vierten Klasse. Bücher und Zeitschriften werden standardmäßig in Kurzschrift gedruckt.

Auch „Screenreader-Software“, die die Darstellung von Computerinhalten auf so genannten Braillezeilen steuert, kann deutsche Kurzschrift anzeigen. Die deutsche Braille-Stenographie-Schrift ist noch effizienter und hat vor der Einführung des Computers Berufe für blinde Menschen im Bürobereich erst möglich gemacht. Damit hat die Brailleschrift auch in Deutschland eine ganz spezifische Ausprägung und Geschichte.

Für blinde Menschen ist die Brailleschrift weltweit der einzige Zugang zu einer Schrift. Mit Hilfe dieser Schrift können sie lesen und schreiben, mit anderen kommunizieren, sich Zugang zu Informationen verschaffen und visuelle Inhalte tastbar machen.

Die Brailleschrift ist ein Kulturgut der Behindertenselbsthilfe. Sie wurde nicht von sehenden Pädagoginnen und Pädagogen entwickelt, sondern von blinden Menschen selbst. Die Betroffenen mussten ihre Schrift gegenüber den „Blindenlehrern" durchsetzen. Heute wird die Pflege und Weiterentwicklung der Brailleschrift von blinden Menschen selbst organisiert, ebenso wie die Entwicklung technischer Geräte, die das Drucken und Anzeigen der Schrift ermöglichen.

Publikation

Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe - Jubiläumsausgabe.
Deutsche UNESCO-Kommission, 2023

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