Auf ein Wort,

Die Architektur von Wissensgesellschaften

Prof. Dr. Wolfgang Schulz

Prof. Dr. Wolfgang Schulz
Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission und Vorsitzender des Fachausschusses Kommunikation und Information

Herr Professor Schulz, welche Rolle spielen Meinungsfreiheit sowie der Zugang zu Informationen und Wissen für die Umsetzung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda?

Die Agenda setzt klare Schwerpunkte bei den Grundbedürfnissen der Menschen – die Beendigung der Armut, die Bekämpfung des Hungers und Zugang zu Trinkwasser sind zentrale Themen. Informations- und Kommunikationstechnologien und der Zugang zu Informationen und Wissen spielen eine entscheidende Rolle, um diese Grundbedürfnisse zu stillen. Das zeigen beispielsweise Projekte, die die Wasserversorgung durch Online-Partizipation entscheidend gerechter und effizienter gestaltet haben. Es ist erfreulich, dass diese Zusammenhänge im Agenda-Dokument sichtbar werden und explizit dazu aufgerufen wird, den Zugang zu Kommunikations- und Informationstechnologien signifikant zu erhöhen. Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen sind Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. 

2015 ist in Folge intensiver Verhandlungen zur digitalen Gesellschaft der UNESCO-Bericht "Keystones to foster inclusive Knowledge Societies" erschienen. Er wurde im November 2015 mit überwältigender Mehrheit von den UNESCO-Mitgliedstaaten bestätigt. Was sind die Haupterkenntnisse?

Der Bericht analysiert neue Trends der Netzkommunikation. Grundlage ist dabei das von der UNESCO entwickelte Konzept der Internet-Universalität, das auf den vier Prinzipien Menschenrechte, Offenheit, Zugang und Partizipation beruht. Die 2013 initiierte Studie reagiert auf die internationale Diskussion, die sich aus den Enthüllungen von Edward Snowden über staatliche Abhörpraktiken ergab. Sie sollte helfen festzustellen, welche strukturellen Probleme es bei der Kommunikation im Netz gibt und ob es sich als notwendig erweist, auf die Entwicklungen durch neue Vereinbarungen auf internationaler Ebene zu reagieren.

Der Bericht macht zunächst deutlich, welche Maßstäbe sich bereits aus verbindlichen Menschenrechten wie der Meinungsfreiheit und dem Recht auf Privatheit ergeben. So ist beispielsweise anerkannt, dass alle Formen internetbasierter Kommunikation geschützt sind und hohe Anforderungen für staatliche Maßnahmen bestehen, die Internet-Kommunikation beschränken. Das gilt auch für Anbieter, die Nutzer bei der Kommunikation unterstützen. Zudem macht der Bericht transparent, wie komplex die Situation ist, da es bei der Netzkommunikation nicht nur um das Verhältnis von Bürgern zum Staat geht, sondern auch die Rolle von Intermediären wie Facebook oder Google betrachtet wird.

Unter dem Stichwort "Information ethics" finden sich viele Hinweise darauf, wer welche Verantwortung in dem komplexen System hat, um den Menschenrechten zur Geltung zu verhelfen. Intermediäre beispielsweise, die Nutzern den Zugang zum Internet bereitstellen, haben die Verantwortung, diesen Zugang unzensiert zu gewähren. Sie sind so zum einen potenzielle Gefährder von Interessen, sie können sich aber andersherum staatlichen Ausspähversuchen gegenüber als Interessenvertreter der Bürger erweisen, wenn sie diese Versuche nicht unterstützen und gleichzeitig transparent machen. Die ethische Dimension wird auch in den Diskussionen über Diskriminierung auf digitalen Plattformen deutlich. Die aktuelle Debatte über Hass-Posts auf Facebook zeigt, wie schwer die Grenzziehung ist: Auf der einen Seite besteht ein Interesse daran, dass illegale Inhalte rasch verschwinden, andersherum stellt sich die Frage, wer, wenn nicht ein Gericht, die Entscheidung treffen darf, ob ein kommunikativer Inhalt gelöscht wird.

Brauchen wir eine digitale Grundrechte-Charta?

Der Bericht zeigt sehr deutlich, dass weiter ausgelotet werden muss, welche verbindlichen Anforderungen sich aus den Menschenrechten ergeben. Es gibt bereits mehrere interessante Versuche, Prinzipien für eine freie Internetkommunikation zu entwickeln. Das NETmundial Multistakeholder Statement etwa hebt als zentralen Baustein hervor, dass das Internet als einheitlicher, unfragmentierter Kommunikationsraum erhalten bleiben sollte. Die zentrale Frage ist aber, wie und durch wen gewährleistet werden kann, dass Menschenrechte im Internet auch tatsächlich umgesetzt werden.

Welche Relevanz hat der Bericht für Deutschland?

Lassen Sie mich die Relevanz am Beispiel der Europäischen Datenschutzgrundverordnung verdeutlichen: Hier gilt es die Spielräume, die die Verordnung für die Mitgliedstaaten bietet, so auszufüllen, dass die Menschenrechte optimal wirken können. So haben Staaten die Möglichkeit, Ausnahmen vorzusehen, wenn es zum Schutz der Kommunikations- und Informationsfreiheit sinnvoll ist. Das geht über das Medienprivileg, das es im Datenschutz schon länger gibt, hinaus. Ein anderes von der Studie beleuchtetes Themenfeld ist der in Deutschland intensiv diskutierte Umgang mit Hasskommentaren in sozialen Medien. Die Bundesregierung hat hier wiederholt an die Intermediäre appelliert, sicherzustellen, dass auf den von ihnen betriebenen Plattformen keine Verletzung von Menschenrechten in Form von Aufruf zu Hass und Gewalt stattfindet. Die Debatte macht deutlich, dass der Rechtsrahmen für das globale Internet in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich ausfällt und es hier zu Konflikten kommt. Und nicht zuletzt will ich erwähnen, dass das in der Studie vorgestellte Prinzip der Internet-Universalität seit einem Grundsatzbeschluss der Bundesregierung vom Herbst 2015 Richtschnur in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist. Auch daran sehen wir die Relevanz der UNESCO-Arbeit für die Politik hierzulande.

Welche Schwerpunkte werden Sie in der Deutschen UNESCO-Kommission im Jahr 2016 setzen?

Der Fachausschuss Kommunikation und Information wird sich mit dem Thema Vielfalt befassen. Digitalisierung bedeutet zunächst Vielfaltsgewinn, kann aber dazu führen, dass Minderheitsinteressen in der analogen medialen Kommunikation weniger Platz finden, weil es dazu ja im Netz Inhalte gibt. Uns wird auch die Frage beschäftigen, welche gesellschaftlichen Probleme sich identifizieren lassen, die ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziertes Institut für Internet und Gesellschaft bearbeiten könnte. Auch die Langzeitsicherung von Daten wird ein Thema sein – während man darüber streitet, dass das Internet nicht vergisst, stehen Bibliotheken und Archive vor großen Herausforderungen, Daten langfristig zugänglich zu halten. Hier könnte die UNESCO Initiativen verknüpfen und als Ideengeber fungieren, wie sie das mit dem sogenannten PERSIST Projekt bereits erfolgreich begonnen hat.

 

(Quelle: Jahresbericht der Deutschen UNESCO-Kommission 2015)

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