Rede,

Industrielles Welterbe. Chance und Verantwortung

Prof. Dr. Maria Böhmer

Prof. Dr. Maria Böhmer
Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission

Grußwort zur internationalen Konferenz "Industrielles Welterbe. Chance und Verantwortung"

 

 

- Es gilt das gesprochene Wort! –

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Müntefering,
sehr geehrte Frau Ministerin Scharrenbach,
sehr geehrte Frau Hosagrahar,
sehr geehrter Herr Professor Noll,
sehr geehrter Herr Professor Grütter,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie heute hier in Essen und auch digital im Namen der Deutschen UNESCO-Kommission zu dieser besonderen Tagung begrüßen zu dürfen. Der Rahmen für die vor uns liegenden zwei Konferenztage könnte kaum ein besserer sein.
Wir befinden uns inmitten eines der Herzstücke der Industriekultur, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Seit 20 Jahren gehört der „Industriekomplex Zeche Zollverein“ als UNESCO-Welterbe zum weltweit einzigartigen kulturellen Erbe der Menschheit.

I. UNESCO-Welterbe, Bedeutung und Auftrag der DUK

Mit der Unterzeichnung der Welterbekonvention von 1972 haben sich die Vertragsstaaten – so auch die Bundesrepublik Deutschland – verpflichtet, für den Schutz, Erhalt sowie die Vermittlung der für die gesamte Menschheit bedeutenden Stätten Sorge zu tragen.
Die Deutsche UNESCO-Kommission wirkt als UNESCO-Nationalkommission und Mittlerorganisation zwischen Politik, Zivilgesellschaft und allen an UNESCO-Welterbe-Prozessen Beteiligten maßgeblich an der Umsetzung der Welterbekonvention in Deutschland mit. Wir freuen uns, als Mit-Organisatorin dieser Konferenz Impulse für die Entwicklung von industriellen Welterbestätten zu geben.

II. „Chance und Verantwortung“

„Chance und Verantwortung“ ist der Untertitel unserer Tagung. Damit befassen wir uns in den kommenden beiden Tagen mit zwei ganz zentralen Dimensionen von Welterbestätten.
Mit Blick auf industrielle Welterbestätten stellen sich insbesondere diese Fragen:
Wie können wir industrielle Welterbstätten im urbanen und im ländlichen Umfeld nachhaltig schützen und weiterentwickeln?
Welche neuen Nutzungskonzepte gibt es, gerade mit Blick auf regionalen Strukturwandel und gesellschaftliche Veränderungen?
Wie etablieren wir einen nachhaltigen Tourismus?
Welche Rolle spielen Digitalisierung und Vernetzung?
Wir haben uns viel vorgenommen – und ich freue mich darauf, all diese Fragen mit Ihnen zu diskutieren.

III. Industriekultur und Wandel im Ruhrgebiet

Besonders freut mich, dass wir uns überregional austauschen und die Chance haben Gemeinsamkeiten bei Herausforderungen und Lösungsstrategien zu erkennen. Denn das ist einer der wesentlichen Vorteile von UNESCO-Welterbestätten: Sie sind Teil eines Netzwerks, das sich um die ganze Welt spannt und dazu einlädt, voneinander zu lernen. In Deutschland finden sich mehrere weltweit herausragende Beispiele der Industriekultur. Dazu gehört das Bergwerk Rammelsberg, die Speicherstadt in Hamburg, das Augsburger Wassermanagement-System und die Montanregion Erzgebirge/ Krušnohoří.

Diese Liste wird erweitert durch internationale Welterbestätten wie den sogenannten „Großen Kupferberg“ in Schweden oder die Historische Altstadt der Bergbaustadt Goiàs in Brasilien.
An all diesen Orten verkörpert Welterbe nicht nur einzigartige Industriekultur, sondern auch kontinuierlichen Wandel.
Hier im Ruhrgebiet haben Bergbau und Stahlproduktion lange Zeit eine ganze Region geprägt. Ich glaube, man kann sagen, das Ruhrgebiet ist Industriekultur pur. Die Menschen identifizieren sich mit ihrer regionalen Geschichte. Sie sind zu Recht stolz darauf, dass der Industriekomplexes Zeche Zollverein als einzigartiges Denkmal der Industriekultur in die ganze Welt strahlt.

Doch die Industriekultur und das UNESCO-Welterbe strahlen nicht nur nach außen. Sie verbinden auch die Menschen vor Ort, insbesondere in Zeiten des Wandels, wie sie das Ruhrgebiet seit dem Niedergang von Kohle und Stahl erlebt hat.
Als vor einigen Jahrzehnten die Schlote des Ruhrgebiets nach und nach aufhörten zu qualmen, als sich damit die wirtschaftliche Grundlage für das Leben so vieler Menschen dieser Region förmlich in Luft auflöste, da machte sich große Sorge breit.
Viele fremdelten anfangs mit dem Begriff des Strukturwandels. Tief ist im Ruhrgebiet die Verwurzelung mit Kohle und Stahl, mit Hochöfen und Gasometer. Doch schon früh erkannten die Menschen, dass Wandel auch Chancen bietet.

Eine der tragenden Säulen des – ich denke, man kann heute sagen – gelungenen Strukturwandels dieser Region ist die Industriekultur. Sie stiftet Identität, sie gibt der Transformation einer ganzen Region in ökonomischer, gesellschaftlicher, kultureller Hinsicht einen festen Boden und ein Gesicht. Wenn ich vor dem Wahrzeichen der Zeche stehe, diesen monumentalen Förderturm vor mir sehe, dann spüre ich den besonderen Geist, den dieser Ort ausstrahlt. Dies ist nicht allein ein herausragendes Monument der Industriekultur, dieser Ort steht auch stellvertretend für das Bewusstsein einer ganzen Region. Ein Bewusstsein, das für beständigen Wandel, für die aktive Gestaltung der Zukunft, für Chance und Verantwortung steht.

Wandel als Chance, das zeigt sich in dieser Region auch in der Gesellschaft. Die Zeche hat Generationen von Arbeiterinnen und Arbeitern eine sichere Existenz verschafft. Durch ihre überregionale Anziehungskraft wurde sie zu einem Ort gelebter Integration, an den Menschen von weither migrierten. Die Geschichte der Zeche zeigt auch, dass es hier wie anderswo Zeiten gab, die von Leid und Unrecht geprägt waren. Viele Millionen Menschen leisteten in Deutschland im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeit. Es berührt mich, dass die Stiftung Zollverein Verantwortung übernimmt und in ihrer Vermittlungsarbeit an einen wichtigen und dunklen Teil der Geschichte der Zeche erinnert.
Dies ist ganz im Sinne der UNESCO-Welterbekonvention: Verantwortung übernehmen für alles, was eine Welterbestätte ausmacht – für Vergangenheit und Zukunft.

IV. Nachhaltige Entwicklung und UNESCO-Welterbestätten

Zentrale Aspekte des Managements von Welterbestätten sind deren Schutz, Erhalt und Vermittlung. Das mag zunächst nach einem alleinigen Konservieren für die Nachwelt klingen. Doch ist es das wirklich?
Heute, bald 50 Jahre nach der Verabschiedung der Welterbekonvention, wissen wir, dass sich unsere Herangehensweisen beim Erhalt unseres Erbes wandeln muss.
Denn die Zukunft unseres Lebensraums, der Erde, ist bedroht. Weltweit stehen wir vor neuen Herausforderungen – und es liegt auf der Hand, dass wir nur mit einer ganzheitlichen nachhaltigen Entwicklung die Weichen dafür stellen können, dass zukünftige Generationen die gleichen Chancen auf ein erfülltes Leben haben wie wir heute. Die 2015 von allen UN-Mitgliedsstaaten verabschiedete Agenda 2030 gibt uns den Fahrplan für eine nachhaltige Entwicklung in die Hand. In 17 Zielen werden die drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung abgebildet: Soziales, Wirtschaft und Umwelt. Welterbestätten tragen bei der Nachhaltigkeitswende eine besondere Verantwortung.

Als Leuchttürme unseres weltweiten Natur- und Kulturerbes haben sie Signalwirkung und sind prädestiniert dazu, als Labore der Nachhaltigkeitswende zu agieren. UNESCO-Welterbe stärkt alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: die ökologische Dimension durch den Schutz von Naturstätten; die wirtschaftliche durch Impulse für nachhaltigen Tourismus und regionale Entwicklung und die soziale durch Begegnung, Teilhabe und Vermittlung. Die Generalversammlung der Vertragsstaaten der Welterbekonvention hat beschlossen, dass nachhaltiges Handeln in die Managementpläne aller Stätten integriert werden soll. Dafür setzt sich die Deutsche UNESCO-Kommission gemeinsam mit den Welterbestätten in Deutschland ein.

Lassen Sie uns – getreu dem Titel der heute beginnenden Tagung – Welterbe als die großartige Chance verstehen, die Verantwortung für eine gerechte und nachhaltige Zukunft für alle Menschen zu übernehmen!
Ich wünsche allen Teilnehmenden einen fruchtbaren Austausch, anregende Diskussionen und viele neue Erkenntnisse für unsere industriellen Welterbestätten.

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