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Deutsche Vorschläge für das UNESCO-Register "Memory of the World"
Constitutio Antoniniana und Dokumente des Auschwitz-Prozesses nominiert
Das deutsche Nominierungskomitee für das UNESCO-Programm "Memory of the World" hat in diesem Jahr zwei neue Vorschläge für das Weltregister des Dokumentenerbes ausgewählt: Nominiert wurden die Constitutio Antoniniana sowie die Verfahrensunterlagen und Tonbandmitschnitte des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963-1965). Nach der Bewertung durch das internationale Beraterkomitee wird die UNESCO-Generaldirektorin im Herbst 2017 über die Aufnahme der Dokumente in das Weltregister entscheiden.
Constitutio Antoniniana
Bei der Constitutio Antoniniana handelt es sich um ein Edikt des römischen Kaisers M. Aurelius Severus Antoninus, genannt Caracalla, das aller Wahrscheinlichkeit in den Jahren 212 bis 213 nach Christus entstanden ist. Gegenstand des Edikts war die Verleihung des römischen Bürgerrechts an sämtliche freie Bewohner des Imperium Romanum. Bis dahin hatten viele Bewohner mehrheitlich den Rang von "Fremden" inne und damit einen gegenüber den römischen Bürgern geminderten Rechtsstatus.
Laut Wissenschaftlern der Universität Gießen ist die Constitutio Antoniniana das erste bekannte Dokument, das ein weitgefasstes Bürgerrecht dieser Art festlegt. Mit der Constitutio Antoniniana wurde somit erstmalig in der Weltgeschichte in einem Gebiet, das viele Millionen Menschen unterschiedlichster kultureller Prägungen auf drei Kontinenten (Europa, Afrika, Asien) umfasst, ein einheitlicher Bürgerstatus geschaffen. Gleichzeitig wurden bestehende lokale Rechtstraditionen toleriert. Daher ist die Constitutio Antoniniana ein früher Bezugspunkt für die Handhabung von Bürgerrechten in transnationalen Gesellschaften. Die Constitutio Antoniniana unterscheidet sich grundlegend von anderen früheren Bürgerrechtsverleihungen im römischen Kaiserreich, die sich zumeist nur an ausgewählte Angehörige der provinzialen Eliten oder an Veteranen richteten und die Differenzierung von Römern und "Fremden" nicht in Frage stellten. Durch den Erlass der Constitutio Antoniniana wurden auch die soziale Mobilität und der Zusammenhalt innerhalb des Römischen Kaiserreichs gesteigert.
Der eingereichte Papyrus Gissensis I 40 enthält das einzige heute noch erhaltene Exemplar der Constitutio Antoniniana. Der Papyrus wird in der Universitätsbibliothek Gießen aufbewahrt. Die Universität Gießen hat auch das Nominierungsdossier ausgearbeitet und bei der UNESCO eingereicht.
Standort: Universitätsbibliothek Gießen
Verfahrensunterlagen und Tonbandaufnahmen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses
Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965) beleuchtete den mit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland (1933-1945) verbundenen millionenfachen Mord an Juden, Minderheiten, politischen Gegnern und Angehörigen der Völker Europas. Die systematische Tötung von Menschen aus rassischen und politischen Gründen in bis dahin nie gekanntem Ausmaß ist ein weltweit einmaliges Verbrechen. Der erste Auschwitz-Prozess rückte das von dem NS-Regime etablierte System der gezielten industriellen Tötung in seinem gesamten Umfang in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Damit verhalf der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess der kritischen und umfassenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zum Durchbruch.
Der Prozess wurde auf Tonband aufgezeichnet. Diese Tonbandmitschnitte – ursprünglich als Gedächtnisstütze im Verfahren angelegt – sind heute von hohem kulturhistorischen Wert: Die Tonbänder dokumentieren die emotionalen Begegnungen von Opfern des Holocausts und ihren Peinigern. Die authentischen Zeugnisse und Verhandlungsprotokolle über ein in der Menschheitsgeschichte einmaliges, ungeheuerliches Verbrechen dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
In Anbetracht dessen, dass in absehbarer Zeit auch die letzten Überlebenden der Verfolgungen durch das NS-Regime nicht mehr selbst Zeugnis hierüber ablegen werden können, sind die Schrift- und Tonaufzeichnungen des ersten, in 183 Verhandlungstagen geführten, Auschwitz-Prozesses von hoher dokumentarischer Bedeutung. Für die zukünftigen Generationen dienen sie als einzigartige authentische, zeitnahe und bewegende Quelle über die Verbrechen des NS-Regimes und den Holocaust.
Die Prozessunterlagen und -tonbänder im Umfang von 454 Aktenbänden werden im Hessischen Landesarchiv – Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden aufbewahrt, das auch den Nominierungsantrag bei der UNESCO eingereicht hat. Ein Großteil der Prozessunterlagen und Audioaufnahmen ist seit 2004 öffentlich zugänglich. Dazu zählt ein auf 103 Tonbändern erhaltener 430-stündiger Mitschnitt der Aussagen von 319 Zeugen, darunter 181 Überlebende des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und 80 Angehörige des Lagerpersonals, der SS und der Polizei.
Standort: Hessisches Landesarchiv – Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
Online-Datenbank: Audioaufnahmen und Dokumente des ersten Auschwitz-Prozess
Das "Memory of the World"-Programm
Ziel des UNESCO-Programms "Memory of the World" ist es, bedeutende Dokumente der Menschheitsgeschichte zu erhalten und weltweit öffentlich zugänglich zu machen. Alle zwei Jahre können die Mitgliedstaaten bis zu zwei dokumentarische Zeugnisse von außergewöhnlichem Wert für das UNESCO-Weltregister "Memory of the World" nominieren. Im Folgejahr der Nominierung entscheidet das internationale Beratergremium der UNESCO über die Aufnahme der für das Register vorgeschlagenen Dokumente. Die endgültige Entscheidung trifft die UNESCO-Generaldirektorin.
In Deutschland ist für die Auswahl von Vorschlägen für das "Memory oft the World"-Register ein Expertenkomitee zuständig, das vom Vorstand der Deutschen UNESCO-Kommission für jeweils vier Jahre berufen wird. Seit 1999 hat das Nominierungskomitee 22 deutsche Beiträge erfolgreich in das Weltregister eingebracht.