Auf ein Wort,
„Eine Studie prognostiziert, dass es 2050 mehr Plastik als Fische in den Weltmeeren geben wird.“
Dr. Georg Reifferscheid
Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)
Dr. Friederike Stock
Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)
Ein Interview zu Plastik in Ozeanen und Süßgewässern anlässlich der Summer School in Koblenz „Plastics in Marine and Freshwater Environments“
Teilnehmende aus aller Welt kamen vom 17. bis 21. Juli 2017 in Koblenz im Rahmen einer Summer School mit dem Titel „Plastics in Marine and Freshwater Environments“ zusammen, um sich zum Themenfeld Plastik in der Umwelt auszutauschen. Im Interview sprechen Dr. Georg Reifferscheid und Dr. Friederike Stock von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) über die Umweltgefahr Plastik und eine Prognose für die kommenden Jahre.
Plastik als große Umweltgefahr in den Ozeanen ist derzeit in aller Munde, zuletzt als Thema des Welttags der Ozeane 2017. Was sind die Herausforderungen - im marinen Umfeld - und wie bewerten Sie die Umweltgefahr Plastik dort, auch im Vergleich zu anderen Herausforderungen?
Die großen Herausforderungen ergeben sich aus der globalen Tragweite: Plastik wird global produziert und genutzt, geht massiv im Nutzungskreislauf verloren und reichert sich letztendlich in der Umwelt an. Die Ozeane stellen, wie für gelöste Chemikalien auch, letztendlich die finale Umweltsenke dar. Dort verteilt sich Plastik entsprechend der Größe und des spezifischen Gewichtes mit Meeresströmungen über den ganzen Globus. Für Lösungsansätze bedarf es also globaler Anstrengungen. Weltweit muss eine Kreislaufwirtschaft und ein Abfallsammel- und -recycling-System von hohem Standard etabliert werden. Aktuelle Studien zeigen die Dringlichkeit der Problematik auf. So gibt es Prognosen, die im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht wurden, die bis zum Jahr 2025 von einer Verzehnfachung des Müllaufkommens im marinen Bereich ausgehen - von geschätzt 4-13 auf 40-130 Mio. Tonnen – gegenüber 2015, wenn keine entscheidenden Gegenmaßnahmen getroffen werden. Eine McKinsey Studie prognostiziert darüber hinaus, dass es gemessen am Gewicht bis 2050 mehr Plastik als Fische in den Weltmeeren geben wird.
In der Globalen Nachhaltigkeitsagenda wird das Ziel formuliert, die Ozeane zu schützen und nachhaltig zu bewirtschaften. Wie schätzen Sie die Realisierbarkeit bis 2030 ein?
Damit Ziele konsequent verfolgt werden, ist es grundsätzlich wichtig, zeitliche Vorgaben zu machen. Das Beispiel der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) veranschaulicht dies: Seit Inkrafttreten der WRRL im Jahr 2000 konnte viel erreicht werden, auch wenn bis zum Jahr 2015 beispielsweise der gute ökologische Zustand nicht überall erlangt wurde; jetzt wird die WRRL fortgeschrieben. Das Wichtigste ist, die Probleme aufzuzeigen, Lösungswege zu formulieren und dann konsequent anzugehen.
Plastik in Süßwassergewässern wird bislang hingegen eher selten in der Öffentlichkeit diskutiert. Was ist hier besonders wichtig?
In Verbindung mit der marinen Verschmutzung kennen viele Menschen Bilder aus den Medien, die zum Beispiel Schildkröten mit verformten Panzern zeigen, da sie sich dauerhaft in Plastikteilen verfangen haben. Solche Bilder erzeugen einen bleibenden Eindruck. Auch das Beispiel von Eissturmvögeln, die so viel Plastik aufnehmen, dass sie daran verenden, verdeutlicht, , dass es so nicht weitergehen kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig aufzuzeigen, dass ein Großteil des Plastikmülls vom Land her in die Meere eingetragen wird, und dass wir mit unserem Verhalten Verantwortung für die Zustände tragen. Die Verantwortung lässt sich nicht an andere delegieren.
Wie stark sind die Gefahren in Süßwassergewässern und in den Ozeanen verknüpft?
Die Datenlage zu diesem Thema ist momentan noch lückenhaft und Quantifizierungen sind schwierig. Auf Basis von Modellen wird allerdings angenommen, dass 80 % der Kunststoffe über das Land in die Meere eingetragen werden, davon ein bedeutender Teil über die großen Flüsse.
Was wird gegen Plastikmüll in Ozeanen und Süßgewässern unternommen? Welche Gegenstrategien haben sich jeweils als wirksam erwiesen?
Plastik-Vorkommen ist endlich eine erkannte Größe in der Umweltbewertung, wovon unter anderem die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie zeugt ebenso wie die EU-Plastikstrategie, welche gegenwärtig entwickelt wird und bis Ende 2017 vorgelegt werden soll. Im nationalen Rahmen gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die in Teilaspekten bereits umgesetzt werden. Um nur einige Beispiele zu nennen: es wurden regionale Aktionspläne entwickelt für die europäischen Meeresregionen die Aspekte von Eintragsquellen, über die Modifikation oder Substitution von Produkten unter der Berücksichtigung einer ökobilanzierten Gesamtbetrachtung bis hin zu Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit betreffen. Unterschiedliche Ansätze zur Sammlung und Reduzierung von Plastikmüll existieren ebenfalls. Als ein Beispiel sei das 2011 ins Leben gerufene Projekt vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) „Fishing for litter“ genannt. In Nord- und Ostsee nehmen mittlerweile mehr als 150 Fischer und 14 Häfen an dem Projekt teil und haben bislang viele Tonnen Müll gesammelt und entsorgt. Darüberhinaus hat sich die Kosmetikindustrie 2013 auf eine freiwillige Vereinbarung zum Verzicht auf Mikroplastik in Kosmetikprodukten geeinigt. Dessen Anteil am Plastikmüllvorkommen ist allerdings gering. Auch gibt es zum Beispiel europaweit Anstrengungen, den Verbrauch von Plastiktüten im Handel deutlich zu reduzieren. Insgesamt ist die Verhinderung der Anreicherung von Plastik in den Meeren von besonderer Bedeutung, so dass vor allem Maßnahmen an Land greifen müssen.
Wen sprechen Sie mit Ihrer Sommerschule an? Was ist das Ziel?
Wir möchten Menschen aus Verwaltungen wie Wasser- und Umweltbehörden sowie junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Dialog einladen. Einführend werden hochkarätige Referentinnen und Referenten über den Stand der Wissenschaft informieren und über gesellschaftliche und politische Dimensionen des Themas sprechen. Im zweiten Teil der Summer School folgen Diskussionen über die Situation in ihren Ländern und über bestmögliche Maßnahmen zur Reduzierung des Plastikmülls in der Umwelt. Ziel ist es, Wissen zu vermitteln, was die derzeit führenden Länder an Maßnahmen planen oder bereits umsetzen. Außerdem soll ein internationales Netzwerk aufgebaut werden.
Was wäre Ihre wichtigste Botschaft an die Politik? Welche an jeden einzelnen Bürger?
Global muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, um eine funktionierende Abfallentsorgung zu gewährleisten und im kontinuierlichen Dialog mit der Wirtschaft die Herstellung umweltgerechter Produkte voranzutreiben. Parallel muss das Plastikproblem weltweit in Bildungseinrichtungen aufgegriffen werden.
Der einzelne Bürger soll einen bewussten Umgang mit Plastik im alltäglichen Leben pflegen und wo möglich auf Plastik verzichten, wiederverwenden oder richtig entsorgen, um es wieder dem Wertstoff-Kreislauf zuzuführen. Plastik gehört nicht in die Umwelt.
Hintergrund
Organisatoren der Summer School „Plastics in Marine and Freshwater Environments“ sind neben der BfG das Internationale Zentrum für Wasserressourcen und Globalen Wandel (UNESCO; ICWRGC), das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), das International Centre for Advanced Studies in River-Sea Systems – Research Infrastructure (DANUBIUS-RI), sowie das UNESCO-IHP International Initiative on Water Quality (IIWQ), in enger Kooperation mit den UNESCO Offices in Abuja, Jakarta und Venedig.