Orgelbau und Orgelmusik als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit

Das Kultur-Projekt "Deutsche Orgelstraße"

Die Deutsche Orgelstraße soll Jung und Alt, Menschen und Dörfer, ja sogar Länder, miteinander verbinden und für die Orgel begeistern. Wolfgang Brommer, Orgelbaumeister und Leiter der Deutschen Orgelstraße, hat dieses Projekt entwickelt, um der Orgel als Klang- und Musikinstrument wieder zu mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Gesellschaft zu verhelfen. 

Das Kultur-Netzwerkprojekt „Deutsche Orgelstraße“ wurde 2017 von der Waldkircher Orgelstiftung ins Leben gerufen, um die traditionelle Pfeifenorgel und die Orgelmusik als kraftvollen Teil der Kultur in Deutschland zu präsentieren.

Die Idee ist, Kirchen, Konzerthäuser, Kulturförderer, Kommunen, Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Museen und natürlich Orgelmusiker und -bauer dazu zu animieren, die Orgel wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und den Menschen den Zugang zu diesem Instrument zu ermöglichen. 

„Das verbindende Element auf dieser Straße ist die Pfeifenorgel“, erklärt Orgelbaumeister Wolfgang Brommer. Große Künstler und Weltmusiker sollen eingeladen werden und Orgeln selbst in kleineren Dörfern oder Gemeinden zu bespielen.

Menschen bewegen

Der Begriff „Straße“ ist nicht wörtlich zu verstehen. Vielmehr ist ein bundesweites Straßennetzwerk geplant, das alle Orte Deutschlands verbindet, in denen Orgeln zu finden sind. Mit seinen geschätzt 50.000 Pfeifenorgeln hat Deutschland die höchste Orgeldichte der Welt. Die Pfeifenorgel ist wohl das einzige Instrument, das aufgrund seiner Größe und seiner Anpassung an die jeweilige Räumlichkeit nicht einfach transportiert werden kann. Weil die Orgeln also nicht zu den Menschen kommen können, möchte Brommer die Menschen zu den Orgeln führen.

Teil der Orgelstraße zu werden, ist leicht: Die jeweilige Örtlichkeit muss über eine Pfeifenorgel, egal welcher Größe, verfügen oder direkt mit einem Orgelstandort in Verbindung stehen. Die Deutsche Orgelstraße ist als Projekt zwar noch in der Aufbau- und Wachstumsphase, findet aber jetzt schon deutlichen Zulauf. „Die Menschen bemerken, dass es sich lohnt, die Orte, an denen die Orgeln stehen, über die Orgelstraße zu besuchen“, so Brommer. 

Seit vielen Jahren ist ein Rückgang der Kirchenbesucher festzustellen. Dadurch kommen immer weniger Menschen in Berührung mit Orgeln und ihrem raumfüllenden Klang. „Die Menschen in den Dörfern müssen sich bewusst werden, was für schöne und wertvolle Besonderheiten in ihren kleinen Dorfkirchen stehen“, so Brommer. Dafür braucht es nicht einmal die Mitgliedschaft in einer Kirche. Das Projekt „Deutsche Orgelstraße“ richtet sich unabhängig von etwa Religionszugehörigkeit oder Alter an alle Menschen mit einem Interesse für Musik und Handwerk. 

Orgeln sollen, wenn es nach Brommer geht, auch als weltliches Instrument wahrgenommen werden und Anerkennung finden. Seinen Ansporn nimmt der langjährige Orgelbaumeister unter anderem daher, dass der Orgelbau in Waldkirch mehr als 200jährige Tradition hat. Seine Meisterwerkstatt Waldkircher Orgelbau, die er zusammen mit seinem Meisterkollegen Heinz Jäger führt, erhielt 2007 als erster Handwerksbetrieb den Preis der Deutschen Außenwirtschaft

"In einer Orgel steckt schon alles drin, man muss es nur rausholen“

Inspiration für die Jugend

Die „Deutsche Orgelstraße“ soll durch Film-, Buch- und CD-Projekte in Kooperation mit verschiedenen Wissenschaftlern, Kantoren und Organisten stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit, vor allem aber in Kindergärten und Schulen, erlangen. Mit der Idee eines „Orgel-Koffers“, der mit einer Pfeife, einer DVD sowie Lehr- und Schulmaterial ausgestattet ist, soll die Vermittlung des großen Instruments erleichtert werden.

Gerade die Technikneugier von vielen Jugendlichen kann einen intuitiven Zugang zum Instrument herstellen. Jugendliche könnten sich zum Beispiel in Schul-AGs oder -Bands mit der Orgel beschäftigen. Mit einer Wanderausstellung möchte Brommer die Aulen und Räume von Kindergärten und Schulen für jeweils einige Wochen „bespielen“. 

Im Rahmen des Projekts werden auch Konzerte mit jungen Organisten veranstaltet, für die extra neue Kompositionen entwickelt oder alte Stücke neu erdacht und interpretiert werden. Brommer wünscht sich, dass das Instrument nicht nur gehört, sondern auch erlebt wird. Die Schüler sollen die Möglichkeit bekommen, über die Orgel die inspirierende Kraft der Musik kennenzulernen.

Was viele nicht wissen: Orgelmusik wird häufig auch in Filmen eingesetzt, um bestimmte Stimmungen zu erzeugen. Durch ihren kraftvollen Klang eignet sie sich hervorragend, um beim Zuschauer Spannung zu erzeugen; sie findet sich daher nicht selten in dramatischen Szenen wieder. Auch in der modernen Musikbranche wird sie eingesetzt – sei es in der Pop- und Jazzmusik als auch im Hip-Hop oder Tango. „Man kann die Orgel mit einem Synthesizer der heutigen Welt vergleichen. In ihr steckt schon alles drin, man muss es nur rausholen“, schwärmt Brommer.

Gemeinsames europäisches Erbe 

Doch ist es nicht nur die Musik und die Handwerkskunst des Orgelbaus, die Brommer mit dem Projekt hervorheben will. Ihm ist auch daran gelegen, den geschichtlichen Aspekt der Pfeifenorgel mit einzubeziehen: Wo hatte die Orgel ihren Ursprung? Wie fand sie weltweite Verbreitung? Warum ist die Orgel gerade in Deutschland so stark verbreitet? Brommer versteht die Orgel als europäisches Kulturgut, das sich als solches in den Köpfen der Menschen etablieren soll.

Im Laufe der nächsten Jahre wird Brommer mit seinem Team von Landkreis zu Landkreis durch ganz Deutschland fahren, um die Orgelstraße noch bekannter zu machen und zum Mitmachen anzuregen. Die Hauptaufgabe der Orgelstraße sieht Brommer darin, die Orgeln durch ihre Dörfer untereinander zu verbinden. „Die Orgelstraße“, so Brommer „ist der Traum von einem riesigen Netzwerk, in dem die Orgeln das Bindeglied zwischen den Dörfern und Gemeinden Deutschlands und sogar Europas sind.“

Denn auch auf internationaler Ebene möchte Brommer der Orgel langfristig zu mehr Bekanntheit und Wertschätzung verhelfen. Das Projekt einer Orgelstraße läuft in verschiedenen europäischen Ländern an. Letztendlich sollen die einzelnen Orgelstraßen zu einer gemeinsamen europäischen Orgelstraße verschmelzen und ein transnationales Netzwerk bilden. 

Deutschland hat bereits einen Beitrag geleistet und 2016 Orgelbau und Orgelmusik als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit bei der UNESCO nominiert. Die Entscheidung über die Anerkennung ist auf der Sitzung des Zwischenstaatlichen Ausschusses der UNESCO-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes vom 4. bis 9. Dezember 2017 in Jeju, Südkorea gefallen.

Eine Anerkennung dieser Kulturform durch die UNESCO wäre wie „ein Ritterschlag für die Orgel“, sagt Brommer. „Diese hohe Anerkennung würde dann auf alle Institutionen und Gemeinden strahlen und sämtlichen Projekten sowie der Pressearbeit Vorschub leisten. Das wäre auch eine schöne Bestätigung dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind, diesem gigantischen Instrument die gebührende Aufmerksamkeit zu vermitteln“. 

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