Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe
Passionsspiele Oberammergau
Bei den Passionsspielen stellt ein ganzes Dorf die letzten fünf Tage im Leben Jesu in einer mehrstündigen Aufführung dar. Die Passionsspiele sind geprägt von der Leidenschaft der Oberammergauer Bürgerinnen und Bürger, die im Rhythmus der Dekaden die Passionsspiele auf die Bühne bringen und danach ihr Leben einteilen.
1633, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, als in Oberammergau bereits 80 Menschen an der Pest verstorben waren, gelobten die Dorfbewohner, alle zehn Jahre Passionsspiele aufzuführen. Fortan starb niemand mehr an der Seuche. Ihrem Schwur sind die Oberammergauer seit 1634 inzwischen beinahe 400 Jahre lang treu geblieben. Vor allem im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Passionsspiele zu einem gesellschaftlichen Ereignis mit Bedeutung über Bayern hinaus: König Maximilian II., König Ludwig II. und zahlreiche andere gekrönte Häupter Europas sowie berühmte Persönlichkeiten, u.a. Richard Wagner, der Chemiker Max von Pettenkofer und der amerikanische Automobilproduzent Henry Ford, ließen es sich nicht nehmen, Oberammergau zu besuchen. An der Passion 2010 nahmen über 500.000 Gäste aus aller Welt teil.
Nur Bürgerinnen und Bürger, die in Oberammergau geboren sind oder seit mehr als 20 Jahren in Oberammergau leben, dürfen teilnehmen. Alle Mitwirkenden, von den Schauspielern, über den Chor und das Orchester, bis hin zu den Platzeinweisern im Theater, sind Einheimische. In Oberammergau, einem Dorf von hervorragenden Schnitzer und Handwerkern, spielt die technische und handwerkliche Ausgestaltung einer großen Theateraufführung eine wichtige Rolle. In Gemeinschaftsleistung der Werkstätten entstehen annähernd 2000 Kostüme und 24 Szenenbilder. Schreiner, Bildhauer, Maler und Schneiderinnen arbeiten über ein Jahr vor der Premiere an der Umsetzung. 2010 beteiligten sich insgesamt 2.500 Personen, also die Hälfte der Bevölkerung Oberammergaus, an der Umsetzung.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, während der zwei Weltkriege, erlebten die Spiele die dunkelste Zeit ihrer Geschichte. Der Nationalsozialismus nutzte die Bekanntheit der Spiele zu Propagandazwecken. In den letzten Jahrzehnten wurde geschichtsbewusst daran gearbeitet, Antijudaismen aus dem Spiel herauszunehmen, was durch grundlegende Textänderungen gelang. In einem modernen Mysterienspiel um das Leiden, das Sterben und die Auferstehung Jesu Christi erlebt man nun Jesus als Menschen und sein Handeln als notwendige Folge der historischen Geschehnisse.
Die Auseinandersetzung mit dem großen Thema und die Erarbeitung der künstlerischen Mittel, bestimmt das Leben der Oberammergauer auch zwischen den Passionsjahren. Kinder und Jugendliche wachsen in dieses Umfeld hinein und werden umfassend musisch gefördert. Durch die stetige Arbeit an Text, Bühne, Ausstattung, Musik und schauspielerischer Darstellung bleibt die Tradition über die Jahrhunderte hinweg lebendig. Zu den Kennzeichen der Passionsspiele gehört die Verbindung von Traditionstreue und Offenheit für die Gegenwart, die nur ermöglicht wird durch den Dialog der Generationen, Glaubensrichtungen, Vertretern der Orthodoxie und Moderne etc. Durch die unzähligen historischen Fragestellungen zur Passion Jesu kam es in Oberammergau auch zu einem intensiven, bereichernden Gespräch mit Vertretern des Judentums. Aus den Oberammergauer Passionsspielen ist so ein völkerverbindendes Ereignis geworden.
Kulturtalente
Kulturtalente in ganz Deutschland prägen und gestalten das Immaterielle Kulturerbe. Sie erhalten kulturelle Traditionen durch Anwendung und Weitergabe ihres Wissens und Könnens. Die Deutsche UNESCO-Kommission stellte von Juli 2016 bis Juli 2017 zwölf Kulturtalente vor und zeigt, wie sie das Immaterielle Kulturerbe hierzulande kreativ weiterentwickeln. Frederik Mayet ist das Kulturtalent des Monats September 2016.