Auf ein Wort,

Neue Wege des Lehrens und Lernens

Prof. Dr. Heribert Nacken
RWTH Aachen

Seit 2010 besteht an der RWTH Aachen der UNESCO Lehrstuhl für Hydrologischen Wandel und Wasserressourcen-Management. Im Rahmen des Projektes MyScore werden Avatar basiertes Lehren und Lernen am Lehrstuhl entwickelt und gefördert und damit Studierenden und Dozierenden ermöglicht, in Virtual Reality miteinander zu kommunizieren, zu lehren und lernen sowie verschiedene Lehr- und Lernszenarien zu nutzen. Wir haben mit dem UNESCO-Lehrstuhlinhaber, Prof. Dr. Heribert Nacken, über Chancen und Herausforderungen dieses Ansatzes gesprochen:

Die letzten Jahre unter dem Einfluss der Pandemie haben uns gezeigt, dass Lehren und Lernen mit weniger Präsenz möglich sein muss. Was sind aus Ihrer Sicht die Chancen des digitalen Lehrens und Lernens?

Grundsätzlich sehe ich überwiegend Vorteile.  Corona hat Änderungen in Hochschulen ermöglicht, für die wir sonst wahrscheinlich 5-10 Jahre gebraucht hätten.

Zugleich war und ist die Pandemie ein Brennglas darauf, dass Bildung größer gedacht werden muss. Es wird viel von Transdisziplinarität gesprochen, aber es ist natürlich unrealistisch an einer Hochschule immer die besten Expertinnen und Experten vereinen zu können. Da hilft es, wenn man durch digitale Kommunikation räumliche Grenzen aufheben kann. Genau da setzt das Projekt MyScore an, das wir an unserem UNESCO-Lehrstuhl an der RWTH Aachen, finanziert durch den DAAD, umsetzen.

Die Vorteile des Virtual Reality basierten Lernens und der Lehre liegt unter anderem darin, dass Reisezeit und Reisekosten gespart werden und dass deutlich weniger CO2 ausgestoßen wird, als bei physischen Treffen. Die Technik bietet vielfältige neue und sinnvolle Möglichkeiten.

Prof. Dr. Heribert Nacken

ist seit 2010 Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Hydrologischen Wandel und  Wasserressourcen-Management (UNESCO Chair in Hydrological Change and Water Resources Management) und Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Ingenieurhydrologie an der RWTH Aachen, Deutschlands größter Universität für technische Studien.

Gehen nicht auch Dinge im digitalen Raum verloren? Was fehlt ohne persönliche Begegnung?

Die immer wieder gern angeführte Kaffeepause können wir natürlich nicht ersetzen und selbstverständlich benötigt man für manche Dinge den persönlichen Kontakt. Aber eine Sache ist ganz zentral: es geht uns nicht darum, bestimmte Formate zu ersetzen, es geht vielmehr darum, Austausche zu ermöglichen, die sonst überhaupt nicht stattfinden würden. Denken Sie beispielsweise einmal daran, dass ich einen Kollegen aus Australien für eine 90 minütige Vorlesung mit meinen Studierenden in Aachen mit Hilfe der Virtuellen Realität zusammenbringen kann – und das in einer ganz anderen Qualität als bei einer reinen Videokonferenz.

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, abgesehen von der Überwindung der räumlichen Distanz?

Eine große Chance liegt in der Wiederholbarkeit von Szenarien. Unsere Studierenden des Bauingenieurwesens werden später im Beruf oftmals mit Aushandlungsprozessen vor Ort bei Bauprojekten zu tun haben. Dafür sind Kommunikationsfähigkeiten und der Umgang mit Konfliktsituationen notwendig. Virtual Reality bietet uns eine hervorragende Möglichkeit, solche Szenarien darzustellen und diese Fähigkeiten damit zu schulen.

Mit Hilfe von Avataren und ein paar wenigen Studierenden können wir eine Bürgerversammlung nachstellen in denen die präsentierenden Studierenden mit viel Gegenwind und Konflikten konfrontiert werden. Sie lernen mit diesen Situationen umzugehen. In einem Hörsaal können wir eine solche Situation vielleicht ein bis zweimal nachstellen, häufiger nicht. Mit Virtual Reality können wir die Szenarien beliebig oft wiederholen und die Studierenden können das erhaltene Feedback direkt versuchen umzusetzen und lernen situativ auf Konflikte und Gegenwind einzugehen.

Neben der Vermittlung dieser Kommunikationsfähigkeiten und sogenannter Future-Skills bietet Virtual Reality aber natürlich auch viele Möglichkeiten im fachlichen Bereich. So können Studierende beispielsweise Hochwasserschutzwände aufbauen oder sich mit der Funktionsweise einer Meerwasserentsalzungsanlage auseinandersetzen. Diese haben wir natürlich nicht in Aachen, aber durch die Kooperation mit der AUC Kairo können wir via Virtual Reality sozusagen auf deren Anlage zugreifen und unseren Studierenden in Aachen die Funktionsweise und den Aufbau vermitteln – und zwar in einer Weise, die durch Abbildungen oder Videos einer entsprechenden Anlage niemals so vermittelt werden könnte. Hierbei hilft es uns, UNESCO-Lehrstuhl zu sein und auf ein internationales Netzwerk von mehr als 850 Lehrstühlen zurückgreifen zu können

Publikation

Jahrbuch der Deutschen UNESCO-Kommission 2021.
Deutsche UNESCO-Kommission, 2022

Sie haben seit 2010 den UNESCO-Lehrstuhl für Hydrologischen Wandel und Wasserressourcen-Management an der RWTH Aachen inne. Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Lehrstuhl?

Fachlich beschäftigen wir uns vor allem mit dem Hydrologischen Wandel und dem Wasserressourcenmanagement. Unser Schwerpunkt als UNESCO-Lehrstuhl liegt aber auch darin, Wissensmedien und Bildungsmaterialien bereit zu stellen, die unter einer offenen Lizenz sind, sogenannte Open Educational Resources (OER). Eine solche Lizenz ermöglicht den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Dritte ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen. Wir stellen diese Materialien anderen Universitäten zur Verfügung, für berufsbegleitende Maßnahmen aber zum Beispiel auch für Grundschulen.

Die UNESCO hat den Begriff OER und die Prozesse maßgeblich geprägt – der Bezug unserer Arbeit zu den Zielen der UNESCO ist daher unverkennbar. Zugleich ist der UNESCO-Lehrstuhl für uns ein wichtiger Türöffner. Der Zugang zu Netzwerken, zu Personen und zu Institutionen wird ungemein erleichtert und schafft die Möglichkeiten für vielfältige Projektarbeiten und für internationale Kooperationen.

Netzwerk der UNESCO-Lehrstühle

Im Netzwerk der UNESCO-Lehrstühle kooperieren derzeit mehr als 850 UNESCO-Lehrstühle und über 45 UNITWIN-Netzwerke in über 117 Ländern, um die Ziele der UNESCO in Wissenschaft und Bildung zu verankern.

Weitere Informationen zum Netzwerk

Was ist Ihr Eindruck: Führt eine ortsunabhängige, flexiblere Lehre zu mehr Bildungsgerechtigkeit oder zum Gegenteil?

Das ist schwierig zu beantworten, auch aufgrund der mir fehlenden Evidenz. Natürlich ist es so, dass wir die Schwellen massiv gesenkt haben indem die Software als open source und die Szenarien als OER  frei zur Verfügung stehen und wir den Server zur Verfügung stellen. Aber natürlich kosten auch die benötigten Virtual Reality-Brillen Geld.

Grundsätzlich glaube ich, dass die Entwicklung positiv ist und es eine Verbesserung der Situation darstellt. Virtual Reality wird die großen Probleme und Herausforderungen, dass viele Menschen weltweit keine Bildungschancen bekommen, nicht auf einen Schlag ändern, das wäre eine vermessene Behauptung. Aber unterm Strich führt der Einsatz zu mehr Möglichkeiten.

Lassen Sie uns abschließend einen Blick in die Zukunft werfen. Welche Vision haben Sie für die zukünftige Nutzung von Virtual Reality im Bereich der Lehre und des Lernens?  

Zunächst finde ich es wichtig, dass wir die Anstöße, die auch aufgrund der Pandemie beschleunigt wurden, nicht wieder umstoßen und in den Status zurückfallen, in dem wir zuvor waren. Wir möchten, dass die Technik als offene Software zur Verfügung steht und leisten dazu unseren aktiven Beitrag. Darüber hinaus müssen wir erkennen, dass es kein Nischenthema ist sondern State of the Art und jetzt die Zeit ist, in das Thema einzusteigen und zu investieren. Virtual Reality ist von jedem anwendbar, beherrschbar und bietet vielfältige Möglichkeiten. Welchen Grund gibt es, diese Möglichkeiten nicht einzusetzen und zu nutzen? 

Projekt MyScore

Weitere Informationen zum Projekt MyScore und dessen Umsetzung am UNESCO-Lehrstuhl an der RWTH Aachen finden Sie hier:

MyScore

UNESCO-Lehrstühle
kulturweit zu Gast in der Barenboim-Said Akademie

Bildung

UNESCO-Lehrstühle

Im Netzwerk der UNESCO-Lehrstühle kooperieren mehr als 850 UNESCO-Lehrstühle und über 45 UNITWIN-Netzwerke in über 110 Ländern, um die Ziele der UNESCO in Wissenschaft und Bildung zu verankern. Sie zeichnen sich durch herausragende Forschung und Lehre sowie internationale Vernetzung in den Arbeitsgebieten der UNESCO aus.
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Open Educational Resources
Global OER Logo

Bildung

Open Educational Resources

Open Educational Resources (OER) sind Bildungsmaterialien jeglicher Art und in jedem Medium, die unter einer offenen Lizenz stehen. Eine solche Lizenz ermöglicht den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Dritte ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen.
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