Gastbeitrag einer kulturweit-Freiwilligen
Vom Heimweh und der Angst, etwas zu verpassen
„Fear of missing out“ – kurz FOMO – beschreibt die Angst davor, etwas zu verpassen. Und die kann Menschen auch erwischen, wenn sie ins Ausland gehen. Weil sich Hannah einen besonders schweren Fall davon zugezogen hat, fragt sie sich auf ihrem Blog: Kann man eigentlich Heimweh haben, bevor man richtig weg ist?
Auf „Studieren weltweit“ berichten junge Korrespondent*innen von ihren Auslandserfahrungen im Studium, Praktikum und im Freiwilligendienst.
Statt einer weiteren Packliste oder Tipps zur Vorbereitung gibt es von mir heute einen etwas emotionaleren Post. Ein wenig Angst, wenn man ins Ausland geht, ist immer dabei: Wird die Reise klappen? Wie ist meine neue Wohnung? Komme ich in einem fremden Land zurecht? Was ist, wenn ich das ganze Semester alleine verbringe und vereinsame? Gedanken wie diese kennt jeder Mensch, der schon mal geplant hat, für längere Zeit ins Ausland zu gehen. Darüber reden wir gerne.
Die Sache mit dem Heimweh
Worüber nicht so viel geredet wird, ist die Sache mit dem Heimweh. Die Sache mit der Familie und den Freunden, von denen man sich verabschieden muss. Für die das Leben irgendwie einfach weitergeht, während man selbst für eine Zeit aussetzt und danach wieder versuchen muss, seinen Platz zu finden. Und vielleicht reden wir nicht gerne darüber, weil wir uns einbilden, mit Anfang zwanzig wäre es nicht mehr okay, seine Familie zu vermissen, als wäre man zwölf und im Feriencamp. Damals gab es wenigstens noch magische Heimwehtropfen – während man heute ziemlich ohne Wundermittel dasteht. Und nicht nur das: Jeder Geburtstag, jedes Schulfest, jeder Wochenendausflug, jede Party findet nun ohne einen statt. Und das macht das große Abenteuer Ausland manchmal bittersüß.
Und überhaupt, fragt man sich in besonders dunklen Momenten, warum mache ich das eigentlich? Ich zum Beispiel konnte selbst auswählen, ob ich für ein halbes oder ein ganzes Jahr nach Armenien gehe und habe mich für letzteres entschieden. Auch wenn ich rational weiß warum, komme ich nicht drum herum, mir manchmal zu überlegen, was die Alternativen gewesen wären. Da ist die Freundin, die schon im Master ist. Oder die Freundin, die ihre Ausbildung abgeschlossen hat und fest im Arbeitsleben steht. Dann muss ich mir sagen, dass Zeit relativ ist und ich mir mit 23 noch keine Sorgen machen muss, zu alt zu sein. Und manchmal glaube ich mir das sogar.
Das „Sich selber finden“-Klischee
Denn ich bin der festen Überzeugung, dass die Zeit im Ausland mich und alle, die sich dafür entscheiden, persönlich wachsen lässt. Dass der direkte Kontrast unserer Kultur, unserer Lebensweise und unserer Mentalität mit einer anderen uns unserer eigenen Werte, Prioritäten und Wünsche klarer werden lässt. Dass wir uns, wenn wir uns in einem anderen Land verlieren, ein Stück weit selbst finden. In dem „Eat, Pray, Love“-Klischee steckt eben, wie in jedem Klischee, auch ein Stückchen Wahrheit.
Und wenn wir Abstand haben zu den Menschen, die wir lieben, dann finden wir auch wieder mehr Bedeutung in den kleinen Dingen – jede „Guten Morgen“-Nachricht, jedes Hundefilter-Snapchat-Selfie, jeder Skype-Anruf mit furchtbarer Verbindung ist dann wichtig. Das kostet vielleicht mehr Mühe, aber das ist es wert. Und so lange sollten wir nur wissen, dass es auch in Ordnung ist, weinend durch die Passkontrolle zu laufen, nachdem man sich von der Familie verabschiedet hat. Bei jedem Telefonat mit der besten Freundin Tränen in den Augen zu haben. Oder einen emotionalen Blogeintrag zu schreiben.
Dieser Beitrag stammt aus dem kulturweit Magazin 2017/2018