Rede,
UNESCO-Weltbildungsbericht 2019 zu Flucht und Migration
Prof. Dr. Maria Böhmer
Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission
Launch des UNESCO-Weltbildungsberichts 2019 am 20. November 2018 in Berlin
I. Rolle von Bildung
1. Wir wissen und wiederholen es immer wieder: Bildung ist heute die wichtigste Ressource unserer Gesellschaften. In Deutschland ist uns dies besonders bewusst! Wir verfügen über nichts Wertvolleres als die Talente und das Wissen der Menschen, die hier leben. Und wir erkennen, dass Bildung noch wichtiger werden wird in einer Welt, die vor großen Herausforderungen steht, Globalisierung, Migration, Klimawandel und die Digitalisierung, die alle unsere Lebensbereiche tiefgreifend verändern wird.
Für die Persönlichkeitsentwicklung, jedes Menschen, für seine Lebenschancen und seine Teilhabemöglichkeiten ist Bildung grundlegend.
II. Bildung und nachhaltige Entwicklung
Bildung ist zugleich der entscheidende Treiber für die Innovationskraft und die wirtschaftliche Entwicklung einer Gesellschaft. Bildung ist die Grundlage für Nachhaltigkeit. Die drohenden ökologischen Katastrophen können wir nur abwenden, wenn wir unsere Bildungssysteme im Sinne eines ganzheitlichen Lernens für Nachhaltigkeit umgestalten.
III. Demokratie und Humanität
Der vielleicht wichtigste Punkt aber, und das wurde besonders in den letzten Jahren immer deutlicher, ist die große Aufgabe der Bildung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaften, für die Werte, die unsere Gemeinschaften prägen. Wir wollen in demokratischen, solidarischen und weltoffenen Gesellschaften leben. In Gesellschaften, die von einem hohen Anspruch an Humanität geprägt sind – heute und zukünftig!
Für diesen Anspruch gilt es aktuell, mit Nachdruck und großer Überzeugungskraft einzutreten!
IV. Agenda 2030
Dies ist im Kern die politische Botschaft des Ziels 4 der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Des Bildungsziels, für dessen Umsetzung die UNESCO die Verantwortung trägt. Chancengerechtigkeit für alle, Inklusivität, Nachhaltigkeit und Weltoffenheit, das sind die Werte, an denen die Qualität von Bildung zu messen ist.
V. Weltbildungsbericht, Flucht und Migration
Für die weltweite Umsetzung des Bildungsziels der Agenda 2030 ist der UNESCO-Weltbildungsbericht zentral. Er ist die einzige umfassende Erhebung und Analyse der Leistungsfähigkeit, aber auch der Defizite der Bildungssysteme in der ganzen Welt.
Er zeigt den Handlungsbedarf auf, um das globale Bildungsziel bis 2030 zu erreichen.
Wir haben als Deutsche UNESCO-Kommission die Übersetzung und Präsentation der UNESCO-Weltbildungsberichte seit 15 Jahren in Deutschland aktiv unterstützt. Daher freue ich mich sehr, dass die internationale Präsentation des Weltbildungsbericht 2019 heute in Berlin stattfindet. Im Namen der Deutschen UNESCO-Kommission danke ich allen Kooperationspartnern sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit.
Dieser Weltbildungsbericht 2019 greift eines der großen Themen unserer Zeit auf: Flucht und Migration. Wenn wir uns den Bericht genauer ansehen, dann steht uns klar vor Augen:
- Wir dürfen keine Zeit verlieren.
- Wir müssen die Bildung von Migranten und Flüchtlingen gezielt verbessern, und zwar schnell!
Besonders dramatisch ist die Bildungssituation von Flüchtlingen. Noch nie seit dem 2. Weltkrieg waren so viele Menschen auf der Flucht, innerhalb und außerhalb ihrer Heimatländer. Geflüchtete kommen zumeist aus den ärmsten und am schlechtesten versorgten Teilen der Welt. Ihre Benachteiligung wird noch verschärft, wenn sie keinen Zugang zu Bildung erhalten.
Der Weltbildungsbericht zeigt für 2017 auf:
4 Millionen junge Flüchtlinge (5-17 Jahre) besuchen überhaupt keine Schule! Das muss zu einem Aufschrei führen, heute am Tag der Kinderrechte. Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung!
Ich erinnere mich immer wieder an meinen Besuch in einem der größten Flüchtlingslager in Jordanien, in Azraq. Für die Kinder gibt es dort Schulunterricht und für die Mütter Computerkurse. Das ist richtungsweisend! Auf meine Frage, was sie einmal werden wolle, antwortete mir eine Schülerin: „Ärztin, denn ich will den Menschen in meinem Land helfen.“ Und ihre Augen blitzten.
Wir müssen alles daran setzen, dass Migranten und Flüchtlinge ihre Talente entfalten können. Denn nur so können sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und andere unterstützen, zu Entwicklung und Zusammenhalt beitragen.
Die heutige Vorstellung des Weltbildungsberichts gibt die Möglichkeit, Erfahrungen miteinander zu teilen und voneinander zu lernen.
Lassen Sie mich Ihren Blick kurz auf Deutschland lenken. Deutschland ist ein Land großer Vielfalt. Ja, wir sind eines der größten Einwanderungsländer und haben in jüngster Zeit viele Flüchtlinge aufgenommen. Inzwischen stammt fast jede 4. Person aus einer Migrantenfamilie, oft schon in der 2. und 3. Generation. Der Anteil wird sich weiter erhöhen, denn rund 39 % aller Kinder unter 5 Jahren haben einen Migrationshintergrund. Viele dieser Kinder leben in Familien, in denen die Eltern einen niedrigen Bildungsstand haben. Die Aufgabe wächst: von den Geflüchteten, die seit 2015 zu uns gekommen sind, ist mehr als die Hälfte unter 25 Jahre alt.
Angesichts der damit verbundenen Herausforderungen haben wir in den letzten Jahren konsequent umgesteuert. Eine umfangreiche Sprachförderung, der Ausbau der frühkindlichen Bildung, die Möglichkeit der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen sowie zahlreiche Unterstützungsprogramme für Geflüchtete in Deutschland zeigen: Wir nehmen unsere Verpflichtung, hochwertige und chancengerechte Bildung gemäß der Globalen Nachhaltigkeitsagenda sicherzustellen, sehr ernst.
Der Weltbildungsbericht unterstreicht, dass Deutschland der Anerkennung der beruflichen Qualifikationen einen hohen Stellenwert einräumt. Doch darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Fehlende Qualifikationen sind ein Hindernis für viele Geflüchtete auf dem Weg in eine Erwerbstätigkeit. Hier müssen wir verstärkt in Bildung und Ausbildung investieren und Angebote so weiterentwickeln, dass sie für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Gewinn sind. Besonders im Blick haben müssen wir dabei Mädchen und junge Frauen. Denn sie haben die größeren Schwierigkeiten, in der deutschen Arbeitswelt Fuß zu fassen.
Zwei Punkte sind mir besonders wichtig:
- Auf die Lehrer und Lehrerinnen kommt es an. Viele Lehrkräfte stoßen trotz hoher Motivation an ihre Grenzen angesichts einer zunehmend heterogenen Schülerschaft und durch auf der Flucht traumatisierte Kinder. Wir müssen die Lehrkräfte unterstützen und entsprechende Angebote für den Erwerb interkultureller Kompetenz fest in der Lehrerbildung verankern.
- Die Bereitschaft in der Bevölkerung, bei Spracherwerb, Erreichen von Bildungsabschlüssen, einer Ausbildung zu helfen, ist enorm und von unschätzbaren Wert! Das sollten wir noch stärker würdigen.
Wir sind alle gefordert, uns einzubringen, wenn es um die Bildung von Migranten und Flüchtlingen geht. Als Deutsche UNESCO-Kommission wollen wir unseren Beitrag leisten. Dafür können wir uns auf unser großes Netzwerk der UNESCO-Projektschulen in Deutschland stützen. Aber als Deutsche UNESCO-Kommission geht unser Blick über Deutschland hinaus: Was können wir tun, damit junge Menschen eine Perspektive in ihrem Heimatland haben? In Mexiko, Südafrika und auf den Philippinen arbeiten wir mit den dortigen UNESCO-Nationalkommissionen zusammen und vermitteln jungen Menschen mit dem Entrepreneurship-Programm STEP neue Zukunftsoptionen für unternehmerisches Handeln.
Der Weltbildungsbericht 2019 zeigt den enormen Handlungsbedarf für bessere Bildung, ja hochwertige Bildung von Migranten und Flüchtlingen auf. Er zeigt viele ermutigende Entwicklung auf. Von der heutigen Vorstellung Weltbildungsberichts hier in Berlin muss die Botschaft ausgehen:
- Wir werden in unseren Anstrengungen nicht nachlassen – ja wir werden sie intensivieren.
- Es darf keine verlorene Generation geben.
- Wir teilen die Erfahrung: Bildung für Migranten und Flüchtlinge kommt allen zugute!
- Das soll uns Ansporn sein!